Ich weiß nicht was Kälte ist
Erst kürzlich sagte jemand zu mir „Du weißt doch gar nicht was Kälte ist“ – darauf hatte ich kein Argument, denn irgendwie hatte er Recht.
Ich weiß nicht was Kälte ist, aber ich weiß was Kälte anrichten kann.
Heute war ich dick eingemuckelt.
Dicke Schuhe, Hose (logisch), Pullover, Hoody und Winterjacke und es war frisch, aber kalt war es meinem Empfinden nach (noch) nicht.
Erst später sollte ich Bekanntschaft mit dieser Situation machen und annähernd rausfinden, was Kälte bedeutet.
Heute entschloss ich mich kurzfristig mit Olaf und Tanja (Tagliatella Carbonare) auf Tour zu fahren, begleitet wurden wir von einer Dame vom WDR, die sich bereits im letzten Monat bei uns gemeldet hatte und nachfragte, ob sie im Januar mal mit uns auf die Straße könnte.
Einer der wenigen Anfragen, die uns zur Weihnachtszeit erreichte, um mit uns auf Tour zu fahren, wenn das Fest der Liebe bereits vorbei war, und so machten wir uns dann heute auf den Weg.
Die Medien, also die Presse und das TV sind für uns als Verein wichtig, um immer wieder in die Köpfe der Menschen gerufen zu werden, denen wir ununterbrochen rüberbringen möchten, dass wir für die Menschen auf der Straße in den Städten, in denen wir unterwegs sind, präsent sind und das zu Uhrzeiten, wo niemand anderes unterwegs ist, und hier liegt die Betonung ganz bewusst auf niemand, denn das was wir machen ist einzigartig.
Und ja, es ist für uns auch in gewisser Hinsicht ein Lob, wenn diese Medien auf uns zu kommen und uns nach unserer Meinung Fragen oder uns begleiten wollen, letztendlich aber sind sie dafür wichtig, um immer und immer wieder aufzuzeigen, dass es dort draußen auf der Straße Menschen gibt, die leider noch immer, viel zu oft vergessen werden.
Unsere Tour fing damit an, dass wir die Dame vom WDR an einem ausgemachten Treffpunkt abholten und dort auch nach den ersten obdachlosen Menschen schauen wollten, diese aber heute Abend nicht antrafen.
Dann machten wir uns weiter auf den Weg und fuhren zu einem Menschen, der, ohne mit der Wimper zu zucken, auch direkt dazu bereit war, über das Leben auf der Straße zu erzählen.
Etwas zu trinken oder essen, wollte er nicht haben.
An einer weiteren Stelle durften wir dann mit Kaffee und etwas Warmen zu essen, helfen und dann ging es für die Dame auch schon wieder nach Hause und wir setzten unser Tour fort, zu einer Stelle, an der wir genau wissen, dass dort nicht so gerne die Medien gesehen werden und da wir sehr genau auf die Persönlichkeitsrechte dieser Menschen achten und auch nach langen Gesprächen mit ihnen, wissen – was sie gut finden und was nicht, wussten wir dass dort die Medien eben nicht willkommen sind.
Letztendlich blieb es dann bei einer Suppe und einen Tee und an einer weiteren Stelle, schlief der Herr schon tief und fest.
Auf dem Weg nach Hause, kurz vor der Tür von Tanja bekamen wir dann noch eine Meldung rein, die Olaf und ich dann noch angefahren sind.
Ein junger Mann, saß mit seinem Hund an einer Stelle auf dem blanken Boden. (was für eine Stelle und welcher Ort es war, darauf gehen wir hier nicht ein)
Ob wir ihm etwas Warmes zu trinken oder essen geben dürften, beantwortete er mit – er habe schon alles und auch das er eine Wohnung hat, dort aber aus Gründen, die er uns nannte (auf die wir hier auch nicht eingehen werden) nicht hinkönnte.
Das Problem an der Sache war einfach die Kälte und das er auf den nackten Steinen saß und sein Hund ebenfalls.
Es war kalt – auch wenn ich wohl bis zu dem Zeitpunkt immer noch nicht wissen sollte, was Kälte denn jetzt ist und alleine der Gedanke, dass er dort sitzt und das wohl bis in die frühen Morgenstunden, ließ sie Olaf und mich dann im Ansatz spüren, was Kälte zu spüren bedeuten muss.
Wir sprachen noch einen Augenblick mit ihm, konnten ihn aber nicht davon überzeugen, nach Hause zu gehen, also machten wir uns auf den Heimweg.
Während wir unterwegs waren, rief ich die Polizei an und fragte nach, ob denn hin und wieder ein Streifenwagen dort vorbeifahren könnte, um zu schauen, dass es der Person, wenigstens einigermaßen gut geht oder ob er, auch wenn es sich ziemlich hart liest, noch am Leben ist.
Der letzte Satz wird nun vielleicht Aufschreie erwecken, aber leider ist das eben so, dass man niemanden dazu zwingen kann, etwas zu tun, was er nicht tun möchte, auch dann nicht – wenn die Temperaturen ein einfach mal draußen sitzen, nicht wirklich gut für die Gesundheit sind.
Die Polizei sagte mir dann zu, dass sie hin und wieder schauen fahren würden, was etwas beruhigend war.
Dann fuhr Olaf nach Hause und ich wechselte das Fahrzeug, doch hatte ich noch immer diese innerliche Unruhe in mir und versuchte nochmal mein Glück und fuhr nochmal zu dem Herrn hin.
Bei ein oder zwei Zigaretten unterhielten wir uns und er erzählte mir etwas über sein Leben, seinen Hund und über seine Familie und während ich da so stand, merkte ich deutlich, dass dicke Schuhe und warme Sachen nichts gegen diese verdammte Kälte tun können, denn sie gräbt sich ihren Weg durch die Sohlen, hinauf in die Beine unter der Jacke hindurch, bis hin zum Kopf und der ganze Körper zittert dann irgendwann nur noch.
Und dann war da diese Person, die bis morgen früh erst einmal dableiben wollte, erstmal schauen, was da so kommt und sich nicht darüber bewusst war, wie kalt es denn eigentlich wirklich ist.
Irgendwann dann, nach etwas einer Stunde und nochmaligen Versuchen, ihm gut zuzureden, was aber alles gescheitert ist, machte ich mich dann auf den Weg nach Hause.
Sitze nun hier – trinke mir einen Tee, spüre diese Kälte noch immer in meinen Gliedern und sie will trotz warmer Wohnung einfach nicht weichen.
Sie hat sich irgendwie in meinen Knochen verankert und wenn das schon trotz Heizung und allem drum und dran so ist, was ist dann die Definition Kälte, für die Menschen, die dort draußen auf der Straße leben.
Wenn ich das Wort Kälte jetzt noch immer unterschätze und das nach 7 Jahren Obdachlosenhilfe nicht weiß was Kälte wirklich bedeutet, dann friert es mich noch umso mehr, was die Menschen auf der Straße ertragen müssen.
Und das sollte uns alle darüber nachdenken lassen, wie sehr gut es uns doch eigentlich geht und es sollte jeden Menschen wachrütteln, der mit seinem Handy durch die Gegend läuft und dabei währenddessen vielleicht einen obdachlosen Menschen sieht, diesen Menschen anzusprechen und wenn er ansprechbar ist, uns seinen Standort mitzuteilen, damit wir helfen fahren dürfen oder im schlimmsten Fall eben die 112 anzurufen, damit Leben gerettet werden können, wenn Personen eben nicht mehr ansprechbar sind.
Mein Tee ist gleich leer, wir haben jetzt 3:00 Uhr und ich werde nochmal zu dem Herrn fahren, um nachzuschauen, ob er noch da ist und wenn ja, ob es ihm gut geht und er diese Nacht hoffentlich gut überstehen wird.
Vorhin schrieb ich, dass das was wir machen einzigartig ist – ich denke sagen zu dürfen, dass dem nichts mehr hinzuzufügen ist.
Update:
Ich war nochmal bei ihm, konnte ihn nach nicht mehr nachvollziehbaren Versuchen nun endlich davon überzeugen, wenigstens einen heißen Kaffee zu trinken.
Später dann will er nach Hause gehen, wann auch immer später für ihn ist.
Unsere Straßenteams werden ein Auge auf ihn schmeissen und auch wenn er keine Hilfe zulässt, wenigstens nach ihm schauen und selbst wenn es nur ein Kaffe ist, den er vielleicht annimmt, mit ihm etwas Zeit verbringen.