Jeder Mensch ist gleich (Straßenbericht Team 2 vom 04.05.2021 / 05.05.2021)
Den Bericht vom ersten Straßenteam, der Tour von gestern auf heute – hier im Blog gepostet und auf Facebook online gestellt.
Jetzt erstmal Nabuko anhören und etwas runterkommen, denn nun folgt auch schon der zweite Bericht, den ich von gestern Abend bis heute früh mit Kerstin und Tanja ( Tagliatella Carbonare ) gefahren bin.
Runterkommen muss sein, besonders wenn einem immer und immer wieder das Thema „Mensch bleibt Mensch“, wie ein begossener Pudel durch den Kopf irrt und man sich fragt, warum nicht alle gleich sind?
Jeder Mensch ist gleich, es unterscheidet uns nichts von dem anderen und doch sind Reaktionen grundsätzlich verschieden, besonders dann, wenn man das Wort „Obdachlose“ in den Mund nimmt.
Ich möchte mal ein Vergleich aufschreiben, wer den Fehler findet – kann da gerne was zu schreiben.
Fall 1:
Nehmen wir einmal an, dass wir irgendeinem Menschen auf der Straße begegnen, der sich kaum bewegen kann, keinen Schritt mehr vor den anderen setzen kann und deutlich zu verstehen gibt, dass er Schmerzen hat.
Was tut man also?
Man ruft die Profis, damit sie diesem Menschen helfen und zack sind sie da und tun das was ihre Aufgabe ist – sie helfen!
Fall 2:
Nun nehmen wir den gleichen Fall an und begegnen einem obdachlosen Menschen auf der Straße, der sich kaum bewegen kann, keinen Schritt mehr vor den anderen setzen kann und deutlich zu verstehen gibt, dass er Schmerzen hat.
Was tut man also?
Man ruft die Profis, damit sie diesem Menschen helfen! Nur in diesem Fall ist es ein obdachloser Mensch. Man ruft die Notfallnummer, wie auch in Fall 1, erklärt die Situation nur mit dem winzigen Unterschied, dass man hier von einem obdachlosen Menschen spricht und das erste was man am Telefon hört, ist ein „Stöhnen“, als wäre es lästig, dass man überhaupt angerufen hat.
Auch hier kommen die Profis aber irgendwie anders – Freundlichkeit ist deutlich zu unterscheiden von Höflichkeit, denn die war in keinster Weise vorhanden.
„Mensch bleibt Mensch“ und es ist mir unbegreiflich, wie man, wenn man um Hilfe bittet, einem bereits am Telefon so unhöflich entgegenkommt – nur weil man für einen „obdachlosen Mensch“ Hilfe anfordert!?
Auf DMAX sind die irgendwie immer freundlicher, wenn sie dann in der Serie „112: Feuerwehr im Einsatz“ zu sehen sind aber sei es drum – vielleicht hatten sie alle nur einen schlechten Tag.
Bei all den anderen Einsatzkräften, die unsere Arbeit zu schätzen wissen, wie auch wir ihre Arbeit, zu schätzen wissen, bei all denen bedanken wir uns immer und immer wieder, für ein wertvolles Miteinander.
Wir schreiben immer und immer wieder darüber, wie wertvoll die gemeinsame Zusammenarbeit ist, wenn es darum geht, Unterstützung anzufordern, welche wir nur in den absoluten Ausnahmesituationen anfordern – Situationen wie zum Beispiel, wenn uns jemand sagt, dass er sich das Leben nehmen will oder eben starke Schmerzen hat oder gar nicht mehr ansprechbar ist und wir der Meinung sind, dass diese Person dringendst ärztliche Unterstützung braucht.
Wie wird in den Medien immer eindringlich darauf hingewiesen?
Lieber einmal zu viel anrufen, als einmal zu wenig!
Wenn wir uns aber bereits am Telefon quasi als Last fühlen, wie soll sich dann der „obdachlose“ Mensch erst fühlen, dem es in dem Augenblick schlecht geht?
Demnächst erwähnen wir dann nicht mehr wer wir sind und behalten auch für uns, dass es sich um eine obdachlose Person handelt – vielleicht erhöhen wir dadurch den Level der Freundlichkeit und kommen dann auf ein Niveau, als wäre das Fernseh dabei.
Weiter möchte ich da gar nicht drauf eingehen und Nabuko hilft mir in dem Fall auch nicht wirklich weiter – es regt mich einfach nur auf und macht mich fassungslos, was für Unterschiede gemacht werden, obwohl alle Menschen, doch eigentlich gleich sind.
Wir zumindestens haben ihn gehalten und gestützt, damit er nicht fällt und auch Kirsten, die heute das erste Mal mit uns durch die Nacht gefahren ist, hat, ohne lange zu überlegen, Hand angelegt und hat damit diesem Herrn geholfen, wenigstens ein paar Schritte gehen zu können.
Doch diese Nacht hatte uns auch noch andere Menschen gezeigt, die wir gesehen haben, denen wir helfen durften und während wie immer wieder zwischen den einzelnen Stationen über das „Mensch sein“ gesprochen hatten, nahmen wir uns dann auch wieder Zeit für die, die auf der Straße leben.
Wir bekamen viele Fragen gestellt und die – die wir beantworten konnten, beantworteten wir und die auf die wir keine Antwort wussten, blieben im Raum stehen.
Man muss auch nicht immer alles wissen, oftmals reicht es vollkommen aus, einfach zuzuhören, sich für diese Menschen zu interessieren und ihnen das auch zu zeigen.
Für sie dazu sein und wenn sie sich melden, sie nicht einfach zu ignorieren.
Wir durften heute Nacht einen Schlafsack verteilen, mehrere Terrinen und heiße Getränke, um die kalten Glieder aufzuwärmen.
Eine Nacht mit viel Tiefsinn nicht nur während der Gespräche innerhalb des Teams, auch dort draußen, bei denen – worüber andere stöhnen und bei denen wir gerne sind, um ihnen zu helfen.
Und der Mensch heißt Mensch
Weil er vergisst
Weil er verdrängt
Und weil er schwärmt und stillt
Weil er wärmt, wenn er erzählt
(Songtext Herbert Grönemeyer)
Die Musik ist aus, der Text ist geschrieben, die Gedanken kreisen noch immer fragend durchs Hirn, doch letztendlich würden sie wahrscheinlich noch viel mehr kreisen, wenn man nicht in einem so großartigen Team arbeiten würde, wo sich alle zwischen den einzelnen Stationen, die wir jede Nacht anfahren, ein Feedback geben würden.
Ich bedanke mich bei Tanja und Kirsten für diese gemeinsame Tour und auch bedanke ich mich bei all den Menschen, denen wir helfen durften.
Es war uns eine Ehre
Holger Brandenburg
UNSICHTBAR e.V.