Für mich kristallisiert sich auf jeder Tour meistens ein Thema heraus

Das Straßenteam vor Ort.
Kathrin (die auch den Bericht geschrieben hat), Ekkes und Olaf auf Tour
 
„Gestern Abend sind Olaf und ich mit Ekkes in Bochum unterwegs gewesen. Wie immer haben die Menschen sich darüber gefreut, dass ihre akuten Bedürfnisse gestillt wurden: Es gab was zu essen, zu trinken und alles an Ausstattung, was man nachts auf der Straße gebrauchen kann. Und offene Ohren für alles, was die Leute beschäftigt, gab es. natürlich auch.
 
Für mich kristallisiert sich auf jeder Tour meistens ein Thema heraus, dass das Team besonders beschäftigt hat. Gestern sind wir im Auto auf das Thema Gesundheitsversorgung der Menschen auf der Straße gekommen. Die kann sich nämlich als schwierig erweisen.
 
Dabei geht es nichtmal so sehr um den bürokratischen Aspekt, der auch umständlich sein kann. Aber das Problem ist of ein anderes.
 
Für viele der Menschen scheitert die medizinische Versorgung daran, dass sie sich unwohl fühlen. Unwohl, im grellen Licht einer Notaufnahme „inspiziert“ zu werden. Unwohl angefasst zu werden, obwohl man eigentlich nur mit sich allein sein möchte. Unwohl sich in den geschlossenen Räumen einer Praxis aufzuhalten. Unwohl, weil bei einem Krankenhausaufenthalt keine Alkohol konsumiert werden kann. Unwohl, weil man nicht weiß, was mit dem eigenen Hab und Gut passiert, wenn man im RTW weggebracht wird.
 
Hinzu kommt, dass viele unserer Schützlinge psychische Probleme haben, die sie überfordern, wenn es darum geht chronische Erkrankungen kontinuierlich zu behandeln. Oder sie machen sich Sorgen, ob sie ungeduscht und verschmutzt nicht vielleicht in der Praxis abgewiesen werden. Oder aber, sie haben alle Kraft verloren, daran zu glauben, dass sie wichtig sind und dass ihre Gesundheit zählt.
 
Unter unseren Schützlingen haben wir Menschen, die immer wieder aus Krankenhäusern „fliehen“. Menschen, die mit einem Bruch, der eigentlich operiert werden müsste, nicht zum Arzt gehen, weil eine Behandlung im Krankenhaus bedeutet, dass sie von jetzt auf gleich auf ihre Drogen verzichten müssten. Menschen, die offene Wunden haben, die vor sich hin eitern, weil sie die Vorstellung nicht ertragen können, von Fremden angefasst zu werden.
 
Und manchmal endet dieser Versorgungsengpass auch tödlich. Wenn jemand lebenswichtige Medikamente nicht bekommt oder wenn jemand vor lauter Resignation in einer lebensbedrohlichen Situation keinen RTW ruft oder andere darum bittet. Oder weil er zu schwach ist, Hilfe zu holen, aber jeder Passant an ihm vorbeigeht, weil er eben „nur“ ein Obdachloser ist.
 
Ich mag unsere Gespräche im Team während wir von Schützling zu Schützling fahren, denn jedes Mal lerne ich etwas Neues oder vergegenwärtige mir nochmal, wie komplex die Probleme jener sind, die auf der Straße leben. Und manchmal, so wie heute, lassen mich diese Schicksale etwas bedrückt zurück.“