Während wir uns unterhielten, lief ihre Bekannte wie immer die Straße auf und ab, wie ein Tiger im Käfig
Unsere gestrige Tour war zeitlich etwas begrenzt, weil ich eingesprungen bin für ein erkranktes Teammitglied und montags der Wecker dann wieder zeitig klingelt. Aber, wenn eine Tour ganz ausfällt, warten viele obdachlose Bekannte vergeblich auf uns, bleiben unversorgt und ungehört; ein oft über Monate aufgebautes Vertrauen muss eben verlässlich gepflegt werden. Das ist dem gesamt Straßenteam bewusst und so findet sich eigentlich fast immer ein spontaner Ersatz.
Bei unserem ersten Stopp in Wuppertal versorgten wir einen alten Bekannten mit Kaffee und Süßem. Er erzählte uns zum wiederholten Male, dass er den Schlüssel zu einer Wohnung, die ihm zugeteilt wurde, immer noch nicht erhalten habe. Bürokratische Hindernisse!?
An einer Mauer, die wir in der Innenstadt immer anfahren, trafen wir wieder ein bekanntes Trio an. Zeit haben oder nicht – Wir nahmen sie uns ausgiebig. Das, was uns die beiden Herren mit ganz viel Humor erzählten, war eine der vielen Geschichten, die man fast nicht glauben kann. Sie sind befreundet, passen aufeinander auf und gehen viele Wege gemeinsam. So auch seit mehr als 16!! Jahren täglich in die Praxis eines Arztes, um an einem Substitutionsprogramm (Einnahme legaler Ersatzstoffe) teilzunehmen – 7 Tage die Woche. Das Programm besuchen sie natürlich freiwillig und es hilft ihnen ein Leben ohne Beschaffungskriminalität zu führen, Nun hatten sie mal nach einer Pause gefragt in Form von „Take – Home“, d.h., dass die einzunehmenden Mittel auch über ein paar Tage über ein Rezept bezogen werden können. Voraussetzung dafür ist, dass der Arzt den Patienten als stabil und zuverlässig einstuft. Antwort des Arztes: Nein!! 16 Jahre scheinen kein Grund zu sein, um den Patienten als zuverlässig einzustufen. Dabei hatten sie es nach 2 Monaten der Planung endlich geschafft, sich für den August ein 9 € Ticket zu kaufen und waren sehr stolz darauf. “ Als wir neulich am Bahnhof waren, habe ich gesagt: Komm, wir machen es jetzt. Aber wo sollen wir denn hinfahren? Das Ticket gilt für ganz Deutschland, aber wir müssen ja täglich zum Arzt“. Es wäre zu schön gewesen, einmal ein kleines bisschen „Freiheit“ erleben zu dürfen.
Während wir uns unterhielten, lief ihre Bekannte wie immer die Straße auf und ab, wie ein Tiger im Käfig. Während die anderen ihre Terrinen schon gegessen hatten, standen ihre beiden immer noch unberührt auf der Mauer, daneben noch Joghurt, Süßes… Wir würden ihr den gesamten Inhalt des Dokkers überlassen, wenn sie nur essen würde. Sie fragt nach Essen und Trinken- Ja, aber dann rührt sie es nur zögerlich oder gar nicht an. Sie ist unglaublich dünn, wiegt höchstens 35 Kilo und es wird immer weniger. Der körperliche Verfall schreitet, wie wir von Woche zu Woche beobachten, rapide voran. Ihr Gesicht besteht nur noch aus Wangenknochen und Augen. Man erkennt, dass sie einmal sehr hübsch gewesen sein muss. Zu diesem Krankheitsbild kommt noch ihr sprunghafter Gemütszustand hinzu – wirre Äußerungen, Aggressionen. Die Droge macht sie kaputt und es kann nicht mehr lange dauern. Auch ihre beiden Begleiter machen sich große Sorgen und einer der beiden wollte dann auf unsere dringende Bitte das Thema am nächsten Tag mit seinem Betreuer besprechen. Hoffentlich tut sich dann etwas. Insgeheim haben wir fast schon darauf gehofft, dass sie einen Schwächeanfall bekommt, denn dann hätten wir den RTW rufen können. So sind uns die Hände gebunden.
Traurig und ohnmächtig verließen wir die drei.
Auf unserer weiteren Tour konnten wir noch einige bedürftige Menschen versorgen und fuhren gegen Mitternacht zum Lager zurück.