Gespenster

Manchmal ziehen Menschen wie Gespenster durch unser Leben. Man nimmt sie nicht richtig wahr und dennoch spürt man im Vorbeigehen einen Hauch davon, dass da jemand war…

Unsere Tour am Donnerstag war irgendwie anders. Für mich (Sina) ging es das erste Mal mit Andreas auf die Straße. Außerdem begleitete uns Friedhelm als frisches Schnüffelmitglied, der aber wie ein alter Hase wirkte. Da war direkt ein vertrautes Gefühl, das so eine nächtliche Fahrt deutlich entspannter macht. Mit Andreas, der wahre alte Hase unter uns, lag ich auch direkt auf einer Wellenlänge. Und so entstand einer dieser Abende, über den man eigentlich schon ein Buch schreiben könnte. Es wäre wahrscheinlich ein Buch mit verschiedenen Kurzgeschichten, leicht mit Roadtrip-Elementen angehaucht.

Eine Geschichte wäre die von dem obdachlosen Menschen, der zum Glück mit deutlichem Winken auf sich aufmerksam machte und uns anschließend freundlich begrüßte. Begeistert erzählte er von dem Schlafsack, den er neulich von uns erhielt. Es sei jetzt gar kein Problem mehr, draußen zu schlafen. An diesem Abend hatte er aber noch mehr Glück und konnte bei einem Freund unterkommen. Als Dank hatte er dem Kumpel gerade einen Döner besorgt. Wir konnten den jungen Mann schon mit einem einfachen Kaffee glücklich machen. Diese Geschichte würde theoretisch gut zu einem anderen jungen Mann überleiten, der kurz darauf nach etwas zu Essen fragte. Seine Reaktion auf den ersten Löffel Terrine lässt sich jedoch nicht ansatzweise in Worte fassen.

Eine weitere Geschichte wäre die über die obdachlose Frau, die wir nun schon einige Zeit kennen. Die hin und wieder fragt, wann wir kommen, damit sie nicht so lange an dem Ort stehen muss. Und dann sind wir da und sie bleibt dann doch noch eine knappe Stunde mit uns dort. Zu viel ist da, das erzählt werden möchte. Und ohne es zu ahnen, schreibt sie die nächste Geschichte in unserer Sammlung des Abends. Und zwar über den jungen Mann, der längere Zeit mit seiner Mutter zusammen lebt. Bis diese plötzlich verstirbt und er über Nacht ohne Heim auf der Straße landet.

Dann gibt es die Geschichte, die nur von einer sehr kurzen Begegnung handelt und trotzdem so viele Gefühle hinterlässt. Sie handelt von dem jungen Mann, der mich fragt, ob ich friere. Ich weiß nicht was ich antworten soll, da ich mich ehrlich gesagt etwas schäme unter meinen fünf Schichten an Kleidung. In diesem Körper, der gerade noch die Sitzheizung genossen hat. Ich antworte ehrlich und gebe zu, dass mir kalt ist. Seine Reaktion, so nüchtern sie auch ist, hinterlässt mich sprachlos. „Eine Woche frierst du, danach merkst du nichts mehr.“

Immer mehr Menschen stoßen an diesem Abend zu uns. An diesem Abend, der so kalt ist, dass wir zunächst gar nicht damit gerechnet hatten, überhaupt jemanden zu treffen. Am Ende sind es vierzehn.

Vierzehnen Geschichten, die alle ein paar Zeilen im Buch des Abends verdient hätten. Einige wären auf einer Seite erzählt, andere müssten eigentlich ein eigenes komplettes Buch bekommen.

Jede dieser Geschichten ist anders und doch haben sie alle etwas gemeinsam. Sie spielen alle in eisiger Kälte und erzeugen dennoch ein warmes Gefühl. Alle diese Geschichten sind geprägt von einer vertrauensvollen Atmosphäre und das obwohl sich alle Hauptfiguren fremd sind. Fremd wie der Mensch von dem wir nur einen Hauch im Vorbeigehen spüren.

Lasst uns manchmal kurz innehalten und dem Geist, der an uns vorbeizieht die Chance geben, sichtbar zu werden.