Karin schreibt…
Sollte man seinem Bauchgefühl vertrauen?
Klare Antwort: Ja. Zumindest Holgers…
Zunächst jedoch haben wir – Holger, Sabrina und ich (Karin) – eine Meldung aus dem Märkischen Kreis. Holger wurde von einem bis dato unbekannten Mann darüber informiert, dass er sich um 2 junge Obdachlose kümmert, die dringend Hilfe benötigen. Unsere Kontaktdaten hat er von der Diakonie erhalten – auch mit dieser Organisation arbeiten wir zusammen, hier liegen unsere Flyer und Visitenkarten aus.
Wir haben Ortsbeschreibung und Fotos und nach einigem Suchen haben wir die Stelle, an der sie sich aufhalten sollen, gefunden. Als ich erfahre, dass es sich um 2 Brüder handelt, 17 und 19 Jahre alt, seit einem Jahr obdachlos, kriegt meine Stimme wieder einen verdächtigen Klang und Holger ist klar: Karin und Tränen… Tief durchatmen und 3 x schlucken, dann geht’s – wir sind ja jetzt da. Und wir dürfen – nein – wir WERDEN helfen.
Ihre Unterkunft ist mit dem PKW nicht erreichbar, also gehen wir in die Richtung, in der wir sie vermuten. Mithilfe der Wärmebildkamera können wir ausmachen, dass sich in einiger Entfernung jemand aufhält. Holger ruft mehrmals den Namen, den er von dem Informanten erfahren hat – erhält aber keine Antwort. Uns ist klar: Selbst, wenn sie uns hören sollten – sie werden nicht antworten. Sie haben Angst. Überaus verständlich – schließlich ist einer der beiden Brüder nicht volljährig.
Wir gehen zurück zum Wagen und Holger verabredet, dass der Informant, zu dem sie mittlerweile Vertrauen gefasst haben, zu uns stößt. Er findet uns, kurze Begrüßung – und dann hat er zu schleppen: Schlafsäcke, Iso-Matten, warme Unterwäsche, TOMs, Hygienebeutel, medizinisches Notfallpack, warme Einlagen für Schuhe, Eistee – alles doppelt. Mit Nahrung, Kleidung und einem Wurfzelt sind sie bereits von Fred (Name geändert) – unserem Informanten – versorgt worden. Fred macht sich auf den Weg, es dauert, bis er wieder zurück ist. Mittlerweile halten sich 5 Menschen dort auf, die zusätzlichen 3 hat er nicht erkannt, sie schliefen tief und fest. Er hat den beiden Brüdern erklärt, wer wir sind, ihnen unsere Karte gegeben und dass sie uns anrufen können, wenn Hilfe erforderlich ist. Uns ist klar, dass das eine weitere Anlaufadresse für uns ist und dafür sind wir dankbar.
Weiter geht’s durch den Märkischen Kreis (
#MK ) . Die obdachlosen Menschen, die wir sehen, schlafen. Wenn wir erkennen können, dass sie mit Schlafsack und Iso-Matte versorgt sind, wecken wir sie nicht. Sollten sie durch das Motorengeräusch des Wagens aufwachen, würden wir natürlich helfen.
Unsere „Frühschicht“ dauert von 21 Uhr bis ca. 24 Uhr – durchaus auch mal länger. Mittlerweile ist es 1 Uhr – nun also zurück zum Lager. Die Tour war absolut erfolgreich, wir haben eine neue Anlaufadresse mit 5 Menschen, die unsere Unterstützung brauchen.
Holgers Bauchgefühl meldet sich: Da kommt noch was…
Sabrina muss heute arbeiten, sie fährt auf jeden Fall nach Hause. Holger: „Karin?“ – Ja klar. Wir hängen also übergangslos eine Nachttour an. Stopp an einer Tankstelle, die um diese Zeit noch ein reichhaltiges Angebot an Snacks hat – wenn wir jetzt noch weiter unterwegs sind, ist etwas Stärkung eine gute Wahl. Die nette Angestellte der Tankstelle hat Besuch, der sich aufgrund der UNSICHTBAR.e.V. -Jacken für uns interessiert – und dann unsere Rechnung übernimmt. Es gibt sie noch – die guten Menschen… wie auch die Frau von der Tankstelle. Sie erzählt, dass sie 15 Jahre Kinderbetreuung gemacht hat. Angefangen mit einem Geschwisterpaar – 2, 4 und 6 Jahre alt. Völlig vernachlässigt von den Eltern. Die irgendwann „Mama“ zu ihr gesagt haben: „Wie hätte ich das denn verhindern sollen?“ Sie hat es psychisch nicht ausgehalten, sich dann um etwas ältere Kinder gekümmert hat: 14-jährige aus der Straßenprostitution geholt. Nach 15 Jahren konnte sie nicht mehr, sie ist jetzt 54. Ich sage, dass es bei mir umgekehrt war, dass ich früh beschlossen habe, nach Renteneintritt mit der Betreuung zu beginnen. Wir schauen uns an – das gegenseitige Verständnis für unsere Tätigkeiten und ihre Bedeutung eint uns für einen kurzen, wertvollen Moment. Wäre ich nachts von wo auch immer hergekommen, hätte an dieser Tankstelle getankt, hätte bezahlt und wäre weiter gefahren… ich hätte nie erfahren, was diese Frau geleistet hat. Auch das ist Unsichtbar: Die Jacken schaffen eine Brücke zu Menschen, die entweder Ähnliches geleistet haben oder aber aufmerksam gemacht werden und ihre Anerkennung zollen – und sei es durch das Bezahlen von Snacks an einer Tankstelle!
Holger hinterlässt Flyer und Karte – wer weiß, vielleicht hört man sich…
Wir setzen Sabrina am Lager ab und entlassen sie in ihre wohlverdiente Nachtruhe. Ich finde es eh bewundernswert, dass vollberufstätige Menschen – oft sogar mit Familie – sich zusätzlich ehrenamtlich für UNSICHTBAR.e.V. engagieren!
Wir entscheiden uns für die Weiterfahrt nach Wuppertal – zunächst wieder zum Obdachlosen meines Herzens. Wie immer große Freude auf beiden Seiten – er: Was Warmes zu essen, was Warmes und was Kaltes zu trinken und was Süßes als Nachtisch, ich: Erleichterung – er lebt und es geht ihm gut. Holger versichert mir: Er kennt ihn seit 5 Jahren und er wird sicherlich hoffentlich noch länger leben. Er sagt, dass er bislang vom Tod eines obdachlosen Menschen erst am nächsten Tag erfahren hat – was natürlich traurig macht, aber nichts ist im Vergleich dazu, wenn man ihn in seiner Unterkunft tot auffindet. Und genau davor habe ich eine Riesenangst. Aber wenn es geschehen sollte, bin ich ja nicht allein…
Weiter durch die City. Schlafende Menschen, versehen mit Schlafsack und Iso-Matte. Dann jemand, der nur mit einer dünnen Decke zugedeckt ist. Also stoppen und fragen, ob wir helfen dürfen. Er ist erst seit Kurzem obdachlos und wird von uns versorgt, wie auch die beiden Brüder. Immer wieder ein fassungsloses: „Womit habe ich das verdient!?!“ – Zusätzlich erhält er einen Rucksack und ein kleines Radio und einen Kakao und natürlich unsere Karte – etwas zu essen benötigt er nicht. Aber was Süßes, ich gebe ihm Schokolade, Kekse, Knoppers: „Morgens halb 10 in Deutschland – Knoppers, das Frühstückchen!“ – textsicher bei Werbung isser!
Holgers Bauchgefühl hat nicht gelogen – da kam noch was…
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EHRENAMT BEI UNSICHTBAR e. V.
Das Ehrenamt bei UNSICHTBAR e. V. besteht nicht ausschließlich aus der Arbeit auf der Straße. Bring dich zum Beispiel in der Fahrzeugpflege mit ein, sortiere, packe und waschen und reinige regelmäßig unsere Fahrzeuge, denn auch das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe.
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