Holger und Karin: Obdachlose schützen, nicht der Öffentlichkeit preisgeben!
Bevor es heute am Donnerstag zu einem Vortrag in Ennepetal ging (wir berichteten bereits darüber), stand ich in einer Nebenstraße und beobachtete ein älteres Ehepaar, das über die Straße wollte, doch niemand blieb stehen, für diesen winzigen Augenblick und hatte den Anstand die Beiden gehen zu lassen. Und als ich dann auf ihrer Höhe war, hielt ich selbstverständlich an und ja es dauerte etwas bis sie die Straße überquerten, als es plötzlich hinter mir hupte.Ich schaute in den Außenspiegel und sah gleichzeitig ein Teufelchen auf meiner linken Schulter sitzen und auf der rechten Schulter das Engelchen.
Ihr könnt euch vielleicht vorstellen was da so in mir vor ging und ja tatsächlich wäre ich sehr gerne ausgestiegen und hätte mich erkundigt, ob ich irgendwie helfen kann, weil ja ohne Grund die Hupe ein Signal von sich gab, aber wie allzu oft auch, hörte ich letztendlich auf das Engelchen, welches mich anlächelte und sagte: Dadurch wird sich nichts ändern, ignorieren ist das Allerbeste.
War es dann auch, Omi und Opa kamen gesund auf der anderen Seite an, ich blieb geschmeidig und ruhig und der Vortrag wurde im Anschluss vorgetragen und das mit Erfolg.
Am Abend dann fuhr ich mit Andreas und Karin auf eine nächtliche Tour. Andreas ist neu bei uns, er möchte uns kennenlernen, weil ihm das, was und wie wir es tun, sehr gut gefällt.
>> Karin: Ich hatte Andreas bereits vor etlichen Wochen in Hagen bei der Ausgabe am Kangoo kennengelernt. Er war nachts mit dem Zug in Hagen angekommen, als Rüdiger und ich gerade einen Ansturm von obdachlosen Menschen mit dem Nötigsten für die Nacht versorgten. Wir sprachen mit Andreas über unsere Tätigkeit und die Art und Weise, wie man Berichte auf Facebook posten sollte.
>> Holger: Und dann, als wir hier und da helfen durften, sagte Karin ihm, was sie überhaupt nicht mögen würde und auch hier bestätigte Andreas sie darin, dass sowas mehr als eine Frechheit, ja dass sowas sogar schon eine Straftat darstellen würde.
>> Karin: Andreas hat die halbe Welt bereist und versichert, dass er eins niemals getan hat: Fotos von menschlichem Elend gemacht. Er hat seiner Familie davon erzählt – aber er konnte nichts zeigen. Ich stimme ihm zu – es ist ein absolutes No Go, Fotos von Schlafplätzen obdachloser Menschen zu posten. Viel zu leicht können anhand von Graffitis, Mauerwerk, Bürgersteig etc. Plätze identifiziert werden. Die Presse ist voll von Übergriffen bis hin zur Ermordung von obdachlosen Menschen – muss man wirklich noch darauf hinweisen, wo sie zu finden sind? Ist es nicht schon schlimm genug, dass sie auch ohne Fotos gefunden werden? Die Steigerung, Fotos von obdachlosen Menschen zu veröffentlichen, ist an Verantwortungslosigkeit kaum zu überbieten. Wir, die wir uns um diese Menschen, die am Rande unserer Gesellschaft leben, kümmern, haben eine Verantwortung diesen Menschen gegenüber. Wir müssen sie schützen – nicht der Öffentlichkeit preisgeben. Folgender Fall: Ein obdachloser Herr ist mit der Veröffentlichung seines Fotos einverstanden. Super. Er weiß doch gar nicht, was das bedeutet. Dass sein Foto im Netz von jedem gefunden werden kann. Dass er – worst case – sein Leben gefährdet. Noch mal: WIR müssen sie SCHÜTZEN, nicht preisgeben!
>> Holger: Ich fuhr den Wagen und nickte nur die ganze Zeit, weil ich es genau so sehe, dass die Privatsphäre ausnahmslos jedes Menschen gewährt bleiben muss.
Wir sprachen weiter über dieses Thema, auch darüber, dass allen, die sowas tolerieren, nicht wirklich klar sein kann, was das bedeutet. Denn was würden wir tun, stände plötzlich jemand in unserem Schlafzimmer und würde ein Bild von uns machen wollen?
[ A ] Du steigst aus Deinem Bett, ziehst Dir was drüber und schenkst dem Eindringling einen Kaffee?
[ B ] Du bist so knülle, hackevoll und kaum ansprechbar und du sagst eh nur noch zu allem ja und amen?
[ C ] Du sagst einfach mal ja, weil immer nein sagen doof ist, weißt aber nicht, dass ein Bild im Internet so gut wie immer da bleiben wird.
Such dir was aus – alle drei Punkte sind scheiße, nur mit dem Unterschied, dass du die Möglichkeit hast, dich zu entscheiden, es aber Menschen da draußen gibt, die einfach ja sagen, weil sie dir vielleicht nicht widersprechen wollen oder die dir nichts Negatives sagen möchten, weil du die Person bist, die ihm oder ihr gerade geholfen hat.
Wir sind uns auf jeden Fall einig in dem, was wir sagen und das ist, dass wir alle, die sich um diese Menschen kümmern, eine Verpflichtung haben und Sorge tragen, dass ihnen kein unnötiger Schaden widerfährt.
Wir sind gegen vieles aber auch nicht gegen alles.
Wir sind zum Beispiel dafür, dass den Menschen auf der Straße auch mit Kleinigkeiten geholfen werden kann, wir finden, Zeit zu schenken, als ein wirklich wichtiges Gut, auch finden wir, dass Neid und Missgunst sich schon viel zu oft eingenistet hat, hier und jetzt aber auf gar keinen Fall einen Platz bekommen wird.
Wir finden, das einzig und allein die Hilfe zählt, die wir fast jede Nacht auf die Straße tragen, wir finden, es ist so wertvoll, Menschen ein Lachen zu schenken und wir finden, dass Zeit schenken mehr Wert hat, als vieles andere, was einfach keine Sinn macht und im schlimmsten Fall andere nur in Gefahr bringt.
>> Karin: Ich habe meiner 89jährigen Mutter erzählt, dass solche Fotos gepostet werden. Sie war entsetzt.
Ein gemeinsamer Text von Karin & Holger
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EHRENAMT BEI UNSICHTBAR e. V.
Das Ehrenamt bei UNSICHTBAR e. V. besteht nicht ausschließlich aus der Arbeit auf der Straße. Bring dich zum Beispiel in der Fahrzeugpflege mit ein, sortiere, packe und waschen und reinige regelmäßig unsere Fahrzeuge, denn auch das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe.
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