Holger schreibt…
Am Samstag traf ich mich mit Susanne S. zu einer unserer legendären Nachtfahrten. Diese Fahrten lernt jedes ehrenamtliche Mitglied erst zu schätzen, wenn es ein- oder zweimal mitgefahren ist.
Oft habe ich schon gehört, dass Nachttouren zu anstrengend sind, dass man sich nicht vorstellen kann, bis zum Sonnenaufgang raus auf die Straße zu fahren, dass man eventuell wirklich schwer mit der Müdigkeit zu kämpfen hätte und dass die Menschen dort dann doch eh schon schlafen.
So würde ich das nicht stehen lassen. Sicherlich ist es etwas anderes, tief in den Morgen hinein etwas zu tun, als es in den Abend hinein zu tun. Diese Erfahrung in der Nacht mit den Menschen dort auf den Straßen ist eine andere.
Sie berührt so viel mehr, und die Menschen, von denen man vermutet, dass sie schlafen, schlafen oftmals erst, wenn der Tag hereinbricht.
Nachts ist es oft viel zu gefährlich, die Augen zu schließen. Tagsüber, wenn Menschen um einen herumlaufen, wenn die Städte voller Menschen sind, dann fällt es denen, die Obdachlose zu Opfern machen wollen, schwerer, auf sie einzuprügeln. So zumindest die Hoffnung von vielen von ihnen.
Wenn die Nächte sich ein wenig wie eine Ausgangssperre anfühlen, wenn kaum ein Mensch unterwegs ist, dann beginnt unsere Arbeit von UNSICHTBAR e. V. Genau diese Arbeit, mit der die Idee – Menschen zu helfen – vor etwas mehr als 9 1/2 Jahren angefangen hat.
Es ist sehr wichtig, darüber zu schreiben und zu informieren, und es ist auch wichtig, das laut und nicht leise zu tun.
Es ist aber auch wichtig, dieses Ehrenamt zu leben, und dafür muss man es lieben.
Genauso lebten wir am Samstag die Menschen, denen wir da draußen helfen wollen, für den Augenblick, für den Moment und für die Zeit, die wir uns gerne nehmen, um für diese Menschen da zu sein.
Wir fuhren durch die Straßen und trafen genau die, die – so wie wir – die Nacht zum Tag machten, die auf uns aufmerksam wurden, weil man unser Auto nicht wirklich übersehen kann. Die uns auffielen, sprachen wir an, wie wir helfen können.
Eine Frage, die auch kritisch sein kann. Manchmal wird sie damit beantwortet, dass wir mit einer Wohnung helfen könnten, dass wir ihnen Anträge ausfüllen könnten oder dass wir ihnen Wege ersparen könnten, die sie selber nicht gehen wollen, damit sich ihr Leben verändert.
All das könnte man tun, könnte aber auch fürchterlich in die Hose gehen, und jeder, der es tut, läuft damit auf ganz dünnem Eis.
Sicherlich würden wir damit unsere Likes in den sozialen Medien um ein Vielfaches nach oben schießen lassen und in aller Munde sein. Aber mal ganz ehrlich – ist das wichtig, wenn man dafür riskiert, genau das Gegenteil von dem zu erreichen, was für diese Menschen eigentlich gut wäre?
Wir sind keine studierten Sozialarbeiter und haben nicht das Recht zu beraten. Auch dürfen und wollen wir keinen dieser Menschen in eine Wohnung vermitteln, weil wir keine Psychologen sind, die sich mit diesen Menschen unterhalten, um herauszufinden, ob sie überhaupt schon dafür bereit sind.
„Gut gemeint, muss nicht gut gemacht sein“, dann zählt viel mehr, mitzudenken und darüber nachzudenken, wie Hilfe am besten funktionieren kann.
Abgesehen von den vielen Menschen, denen wir in der Nacht von Samstag auf Sonntag für den Augenblick helfen durften, waren viele dabei, die uns alleine dafür in ihr Herz geschlossen haben, dass wir erst so spät nach ihnen schauten und sie zu diesen späten Uhrzeiten fanden. Wir machten uns ein Bild davon, dass es ihnen den Umständen entsprechend „gut“ ging. Wie in vielen unserer anderen Nächte trafen wir auf eine Person, die sich uns anvertraute und uns um Rat fragte.
Wir dürfen nicht beraten – wir informieren nur, und auch hier taten wir genau das. Wir nannten der Person Anlaufstellen, zu denen sie gehen muss, um professionelle Hilfe zu bekommen. In dem Fall war es Luther’s Waschsalon in Hagen, wo diese Menschen hingehen können, um zu frühstücken, sich auszuruhen, ärztliche Hilfe zu bekommen und genau an der richtigen Adresse sind, um von Profis die richtigen Antworten zu bekommen, wenn sie dann ihr Leben verändern möchten.
Wir sind in all diesen Fällen nur das Trampolin, das den Menschen etwas Schwung gibt, sich an Stellen zu wenden, die ihnen helfen können. Um diesen Schwung zu bekommen, sind wir in der Nacht gerne für sie da, für den Moment, den Augenblick, für die eine Sekunde, in der wir sie sehen und ihnen zeigen, dass sie nicht unsichtbar sind.
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Oft habe ich schon gehört, dass Nachttouren zu anstrengend sind, dass man sich nicht vorstellen kann, bis zum Sonnenaufgang raus auf die Straße zu fahren…
Oftmals habe ich aber auch schon erlebt, dass man sich erst einmal von etwas ein Bild machen muss, bevor man sonst falsch darüber seine Meinung bildet.
All das, was wir schreiben und all das, was wir erleben, sprechen wir in unseren Vorträgen an, die wir bundesweit halten. Darüber hinaus stehen wir Medien, wie der Presse, Radio und Fernsehen als Ansprechpartner gerne zur Verfügung.
Ganz neu: Wir reden bei TOR 18 – unserem neuen Projekt von UNSICHTBAR e. V. – darüber, dass wir in Zukunft jeden 2. Samstag im Monat Vorträge anbieten werden. Vorträge in unserem Lager, aus unserem Lager, mit Themen, die sensibilisieren und Wahrheiten ungeschönt auf den Tisch bringen.
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EHRENAMT BEI UNSICHTBAR e. V.
Das Ehrenamt bei UNSICHTBAR e. V. besteht nicht ausschließlich aus der Arbeit auf der Straße. Bring dich zum Beispiel in der Fahrzeugpflege mit ein, sortiere, packe und waschen und reinige regelmäßig unsere Fahrzeuge, denn auch das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe.
Werde Teil von etwas Großem – werde ein Teil von UNSICHTBAR e. V.“