Novemberblues…

Karin schreibt…

Hilfe schon vor der Tour…

Bevor ich Schnüffelmitglied Andreas abhole, fahre ich noch kurz zum Supermarkt. Davor sitzt ein alter Bekannter, ich spreche ihn an und da ich nie weiß, ob ich ohne grüne UNSICHTBAR-Jacke erkannt werde, frage ich, ob er mich kennt. Er lächelt, nickt: „Ja!“. Ich frage, ob er etwas braucht – wieder „Ja!“. Cola und Joghurt – bescheidene Wünsche. Aus dem Supermarkt kommen 4 oder 5 junge Mädchen, eine legt Münzen, die sie bereits in der Hand hält, in das Schälchen, das er vor sich stehen hat und verabschiedet sich. Ich bin sprachlos, überrascht, begeistert! Für dieses junge Mädchen sind Menschen wie dieser Obdachlose nicht unsichtbar…

Auf der Fahrt zum Lager ruft Holger an und gibt eine Meldung durch, kein Notfall, aber Hilfe ist notwendig. Am Lager trifft auch Schnüffelmitglied Esther ein, der Kangoo wird gepackt und auf geht’s – zunächst zu „Rudi“. Ich frage: „Rudi – wie immer?“ Er nickt: „Jaha, sehr gerne!“ Na klar – er erhält alles – wie immer!

Noch eine Runde durch die Stadt, Stopp an einer Stelle, an der öfter Obdachlose vorbei kommen. Aber dieses Mal sind sie nicht unterwegs, es ist Freitag und es laufen noch zu viele Menschen rum, die die es ausnutzen, morgen ausschlafen zu können.

Auf der Weiterfahrt ruft Holger mit einer weiteren Meldung an. Er lotst mich per Telefon zu der Stelle, an der eine offenbar hilflose Person in einem Hauseingang liegt. Parken ist hier schlecht, ich stoppe, schalte die Warnblinkanlage an und Andreas und Esther kümmern sich um ihn – einen noch recht jungen Herrn. Die Verständigung ist schwierig, er spricht kein Deutsch. Andreas öffnet eine Übersetzungs-App am Handy, so dass die beiden rauskriegen, was er benötigt. Technik sei Dank. Wir sind froh, dass wir ihm u.a. mit Schlafsack und Isomatte helfen dürfen, selbst in geschützten Hauseingängen ist es einfach kalt!

Kurzer Stopp bei der Polizei, wir tauschen Infos aus und die Polizistin sagt fragend, dass wir in der letzten Zeit wohl täglich rausfahren. Ja, die Teams fahren 3- bis 4- mal raus, Holger noch zusätzlich auf Meldung. Trotzdem suchen wir immer noch Menschen, die das Straßenteam und unseren Verein UNSICHTBAR e. V. mit ihrer Empathie und Herzlichkeit bereichern! Aber wir versuchen halt, so oft wie möglich nach den Menschen zu suchen, die Hilfe brauchen. Wir erfahren, dass einer unserer Bekannten lt. Aussage des Krankenhauspersonals den Winter nicht überleben wird. Ich habe ihn nur 2- oder 3-mal gesehen – ein Bild des Jammers, pures Elend. Kommunikation ist nicht möglich, er will nie etwas, auch nicht reden. Er ist schwerst krank, verweigert jegliche Hilfe. Er wartet nur noch auf seinen Tod. Was für eine furchtbare Vorstellung! Es gibt natürlich Menschen, die ebenfalls allein sind, sterbenskrank, einfach „gehen“ möchten. Aber diese Menschen haben zumindest ein Dach über dem Kopf, werden versorgt. Dieser Herr lebt nur auf der Straße. Will keinen Kontakt, keine Hilfe. Was geht in seinem Kopf vor? Woran denkt er? Warum kann, darf er nicht sterben? Hat er tatsächlich noch so viel Lebenswillen? Ich habe einen sehr schweren Autounfall überlebt, ich weiß, dass der Lebenswille unfassbar stark sein kann, auch dann, wenn man aufgeben möchte.


Ich hatte eine Tante, die wenige Tage nach dem Tod ihres Mannes ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Sie sagte mir damals: „Was soll ich denn noch hier, der Willy ist nicht mehr da!“ Eine Woche später ist sie gestorben. Ich bin fest überzeugt, dass sie es so beschlossen hat.

Ich wünsche diesem obdachlosen, sterbenskranken Herrn, dass das, was er sich wünscht, in Erfüllung geht…

Puh – das sind alles Gedanken, die zum November passen, dem Monat, in dem man schon mal gerne den sogenannten „Novemberblues“ bekommt.
Wir fahren weiter, beobachten, suchen – aber wir finden niemanden, dem wir helfen dürfen. Letzter Treffpunkt für heute – zunächst ist niemand zu sehen. Wir bleiben im Wagen – draußen ist es einfach zu kalt. Und dann plötzlich sind sie wieder da und wieder begrüßen wir alte Bekannte und Menschen, die zum ersten Mal zu uns kommen und die erstaunt sind, dass es uns gibt und die uns versichern, wie gut es ist, DASS es uns gibt. Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, uns für sie einzusetzen.

Es gibt Touren, auf denen viel gelacht wird, im Kangoo und draußen mit den Obdachlosen, auf denen sogar mit ihnen gesungen wird (wie letztens von Ute geschrieben). Und es gibt Touren, da ist man eher schwermütig, verarbeitet das Erlebte nicht so leicht… der Novemberblues halt…

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EHRENAMT BEI UNSICHTBAR e. V.
Das Ehrenamt bei UNSICHTBAR e. V. besteht nicht ausschließlich aus der Arbeit auf der Straße. Bring dich zum Beispiel in der Fahrzeugpflege mit ein, sortiere, packe und waschen und reinige regelmäßig unsere Fahrzeuge, denn auch das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe.
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