Eine 14-tägige Reise durch das Thema Obdachlosigkeit / Kapitel 10

Bargeldloses Bezahlen: Ein unbedachter Trend?

In unserer zunehmend digitalisierten Welt ist bargeldloses Bezahlen mittlerweile der Standard. Vom Kaffee im Café bis zum großen Online-Shopping, fast alles läuft heutzutage ohne den Austausch von Münzen und Scheinen. Doch während die Gesellschaft sich weiter in Richtung bargeldloser Transaktionen bewegt, bleibt eine Frage oft unbeachtet: Wie realistisch ist es für obdachlose Menschen, Teil dieser Entwicklung zu sein?

In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens sind wir längst auf bargeldlose Zahlungen angewiesen. Sogar kleinere Beträge, wie der Kauf von Tickets im öffentlichen Verkehr oder das Bezahlen in manchen kleinen Läden, werden inzwischen vor allem per Karte oder Smartphone abgewickelt. Wenn man den Trend betrachtet, dass immer mehr Menschen kontaktlos bezahlen, könnte man annehmen, dass dieser Weg der Zukunft ist. Für die meisten von uns bedeutet das mehr Bequemlichkeit und weniger Bargeld zu tragen. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass dieser Trend nicht für alle gleich gut funktioniert – insbesondere nicht für obdachlose Menschen.

In der Gesellschaft, die immer stärker auf digitale Zahlungen setzt, stehen obdachlose Menschen vor einer doppelten Herausforderung. Sie haben keinen Zugang zu den Technologien, die für bargeldloses Bezahlen nötig sind. Kein Smartphone, keine Bankkarte, keine Möglichkeit, auf mobile Bezahlmethoden wie Apple Pay oder Google Pay zurückzugreifen. Das führt zu einer klaren Barriere: Wenn man auf der Straße sitzt und um Spenden bittet, wie kann man dann überhaupt teilnehmen, wenn keine Möglichkeit besteht, bargeldlos zu bezahlen? Ein ziemlicher Widerspruch in einer Gesellschaft, die zunehmend bargeldlos lebt, aber Menschen, die am meisten Hilfe brauchen, von dieser Entwicklung ausschließt.

Ich habe mich gefragt, wie es sein kann, dass der gesellschaftliche Trend in Richtung Digitalisierung und bargeldlosem Bezahlen in dieser Form voranschreitet, ohne dass die Bedürfnisse und Realitäten von besonders benachteiligten Gruppen wie Obdachlosen berücksichtigt werden. Es wird immer von der „Vereinfachung“ des Lebens gesprochen, aber es ist doch die Frage, ob diese Entwicklung nicht auch neue Formen der Ausgrenzung schafft. Wer keinen Zugang zu einem Smartphone oder Bankkonto hat, wird in einer bargeldlosen Welt zunehmend unsichtbar und ausgeschlossen. Und das geht nicht nur um den Zugang zu sozialen Diensten oder dem Bezahlen von kleinen Einkäufen, sondern auch um die Möglichkeit, mit anderen zu interagieren, sich zu verbinden und vielleicht sogar um Hilfe zu bitten.

Es ist erschreckend vorstellbar, aber dennoch denkbar – ein obdachloser Mensch, der auf der Straße sitzt, mit einem modernen Kartenlesegerät in der Hand und hofft, dass jemand ihm per Karte oder App hilft. Dies ist eine interessante, aber auch beängstigende Vorstellung, die uns zum Nachdenken anregen sollte. Der Trend zu bargeldlosen Zahlungen muss nicht nur für die „Digitale Elite“ funktionieren, sondern auch für diejenigen, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden und keinen Zugang zu den entsprechenden Technologien haben.

Was bedeutet das nun für uns, als Gesellschaft? Wie können wir sicherstellen, dass obdachlose Menschen nicht in einer bargeldlosen Welt vollständig außen vor bleiben? Hier ist es wichtig, Lösungen zu finden, die den sozialen Wandel berücksichtigen. Es braucht nicht nur eine stärkere Sensibilisierung für das Thema, sondern auch konkrete Maßnahmen. Zum Beispiel könnte es helfen, wenn Organisationen, die obdachlosen Menschen Unterstützung bieten, ein System von bargeldlosen Zahlungsmöglichkeiten einführen, das es den Hilfsbedürftigen ermöglicht, sich zu beteiligen, ohne auf klassische Zahlungsmethoden angewiesen zu sein.

Eine mögliche Lösung könnte auch die Schaffung spezieller Karten oder Konten für obdachlose Menschen sein, die es ihnen ermöglichen, bargeldlos zu handeln, ohne ein reguläres Bankkonto zu benötigen. Es gibt bereits Modelle, bei denen Bankkonten für Menschen in prekären Lebenslagen zugänglich gemacht werden, auch ohne feste Adresse oder regelmäßiges Einkommen. Diese könnten als Vorbild dienen und auf den Bereich der bargeldlosen Hilfe ausgedehnt werden. Wichtig dabei ist, dass keine bürokratischen Hürden entstehen, die den Zugang zu solchen Systemen unnötig verkomplizieren.

Bargeldloses Bezahlen sollte nicht zu einer weiteren Form der Ausgrenzung führen. Vielmehr sollte es als ein Instrument gesehen werden, das allen Menschen zugänglich ist – unabhängig von ihrem sozialen oder wirtschaftlichen Status. Eine Gesellschaft, die sich in Richtung Digitalisierung entwickelt, muss auch sicherstellen, dass niemand zurückgelassen wird, besonders diejenigen, die bereits am Rande der Gesellschaft stehen.

Es ist klar: Der Trend zum bargeldlosen Bezahlen ist nicht mehr aufzuhalten. Aber es ist wichtig, diesen Fortschritt so zu gestalten, dass er inklusiv und zugänglich für alle Menschen bleibt. Wer keine Karten besitzt oder kein Smartphone hat, muss weiterhin in der Lage sein, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen – sei es beim Einkaufen, beim Bezahlen von Dienstleistungen oder bei der Möglichkeit, von anderen Menschen unterstützt zu werden. Eine wirklich inklusive Gesellschaft erkennt, dass technologische Entwicklung nicht nur der Bequemlichkeit dient, sondern auch als Brücke zur Chancengleichheit genutzt werden kann.