Anfang November… es wird kälter…

Karin schreibt…

Zur heutigen Tour hole ich (Karin) mal wieder Schnüffelmitglied Ute ab. Am Lager angekommen informiert uns Holger, dass wir als erstes zu einer Meldung fahren. Nicht immer treffen wir jemanden an, wenn uns ein Notfall gemeldet wird, so manches Mal ist die hilfsbedürftige Person bereits weitergezogen – so, wie jetzt auch.

Es geht weiter Richtung Bergisches Land: „Rudi“ ist da, er lebt – und Ute, die ihn genauso wie ich sofort ins Herz geschlossen hat, und ich sind beruhigt. Wir fragen ihn zwar, was er braucht – aber wir kennen seine Vorlieben natürlich längst. Ein weiterer Bekannter trifft ein, der in der Nähe einen Unterschlupf gefunden hat. „Ich hab‘ euren Wagen gesehen.“

Der Kangoo ist einfach unübersehbar und bestens bekannt, viele winken schon von Weitem, wenn sie ihn sehen.

Beim nächsten Treffpunkt sehen wir eine Person auf dem Boden liegen. Wenn wir Menschen tief schlafend auffinden, wecken wir sie nicht. Die Angst vor Überfällen lässt sie oft nicht einschlafen und wenn sie in den Schlaf finden, ist diese Zeit der Ruhe sehr wichtig. Wir alle kennen das: Schlafmangel aus welchen Gründen auch immer zehrt an Körper und Geist.

Wenn aber – so wie jetzt – ein hilfsbedürftiger Mensch auf einer dünnen Decke auf dem Steinboden liegt, mit einer ebenfalls dünnen Decke zugedeckt, und das bei 4 °C – dann sprechen wir ihn natürlich leise an und fragen, ob wir helfen dürfen. Der junge Mann reagiert sofort, rappelt sich auf, steht zitternd mit hochgezogenen Schultern vor uns.

Zuverlässig meldet sich die emotionale Heulsuse – und da ist sie wieder: Meine Angst vor dem Winter. Was erwartet uns, wenn die Temperaturen deutlich unter den Gefrierpunkt sinken? Holger sagt: „Da musst du durch.“ Ja – und das werde ich auch, da bin ich ganz sicher!

Ein zweiter junger Mann taucht auf, wir erfahren, dass beide noch nicht sehr lange auf der Straße sind und schnell wieder von diesem Leben weg wollen. Holger fragt nach – sie sind bei allen wichtigen Stellen wie z.B. der Diakonie gemeldet, kümmern sich aktiv um sich und ihr Leben. Wir sind erleichtert, es ist genau das, was wir anstreben: Obdachlosen Menschen ihre Selbständigkeit zu erhalten. Wir unterstützen gerne – aber aus der Obdachlosigkeit herauszukommen muss allein ihre Entscheidung sein und bedarf auch ihres Engagements.

Die beiden sind froh über Schuhe, Schlafsäcke, Rucksäcke, Isomatten, TOM, warmes Essen, Warmes und Kaltes zu trinken. Holger gibt ihnen Visitenkarten mit der Notfallnummer: „Aber nicht um 3 für ‘nen Kaffee!“ Die beiden grinsen: „Schon klar!“


Mittlerweile ist ein älterer Herr mit riesiger Plastiktüte voll mit Flaschen und Dosen eingetroffen – ich kenne ihn. Als er mich siezt, nenne ich ihm unsere Namen, sage ihm, dass wir uns alle duzen. Der ältere Herr strahlt, er hätte mich schon öfter hier gesehen, aber „Ute nicht.“ Das wird sich ändern! Er erhält zu essen und zu trinken, kommt kurze Zeit später erneut zu uns – er hätte eine Frage. Wir haben Probleme, ihn zu verstehen, aber plötzlich wird es Ute klar: Sobald seine Sachen in einer Waschstation gewaschen sind und er seinen Pullover anzieht, wird sein Rücken rot und fängt an zu jucken. Wahrscheinlich Waschmittelunverträglichkeit. Ute erklärt es ihm und er versteht: Er wird selber Waschmittel kaufen.

Der erste junge Mann erzählt, dass ihm vor Kurzem alles geklaut wurde. Er war in Sichtweite, einmal kurz umgedreht – das war’s. Holger schlägt ihnen vor, sich zusammenzutun, das sei sicherer und es ist deutlich, dass sie darüber nachdenken. Der junge Mann hat sich auf seinen Schlafplatz zurückgezogen und zieht seine neuen, gefütterten Schuhe an. Holger gibt dem zweiten ein Radio und Batterien, wir wollen weiter und beim Einsteigen höre ich, wie er zu dem anderen geht und sagt: „Wir haben ein Radio gekriegt, können jetzt Musik hören!“ Ich freue mich. Er hat „wir“ gesagt. Vielleicht gehen sie jetzt tatsächlich ein Stück weit zusammen ihren Weg und passen aufeinander auf…

Wir machen uns auf den Rückweg und fahren zum letzten Treffpunkt, mittlerweile ist es 3 Uhr, aber auch jetzt halten sich noch einige unserer Bekannten hier auf und sind wach.


Irgendwann wird die Klappe vom Kangoo geschlossen, noch eine letzte Runde durch die Fußgängerzone und dann geht es Richtung Lager.

Mir ist kalt, ich stelle die Sitzheizung an. Ich denke an die beiden frierenden jungen Männer… Sitzheizung… irgendwie schon dekadent…

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