„Ich pack‘ mal welche ein.“
Karin schreibt…
Auf dem Weg zum Lager mache ich (Karin) wieder einen gewohnten Schlenker und sammle Ute ein. Es ist kalt, die Temperaturen liegen knapp über dem Gefrierpunkt und so packen wir reichlich Schlafsäcke, Isomatten und warmes Zubehör ein. Das Wintersortiment des Kangoos unterscheidet sich natürlich in so einigem von dem des Sommers. Packplan und Ausgaberegal erleichtern das Packen entschieden und so kann man nichts vergessen. Zumindest i.d.R. nicht…
Holgers Bauchgefühl kenne ich ja mittlerweile und dass sich das meistens zu Recht meldet. Jetzt fängt Ute auch noch damit an! „Haben wir eigentlich Lesebrillen an Bord?“ Sie hat eine kleine Box mit Brillen entdeckt. Ich verneine. „Ich pack‘ mal welche ein.“ Klar, kann ja nicht schaden! Viel Platz nehmen sie ja nicht weg.
Der Wagen ist voll und auf geht’s in eine ziemlich kalte Nacht. Wir steuern einige Orte an, an denen wir in der letzten Zeit öfters obdachlose Menschen angetroffen haben. Offenbar haben sie sich geschütztere Stellen für die Nacht gesucht – wir hoffen es einfach.
An einem Rückzugsort, der wirklich ziemlich geschützt ist, treffen wir die beiden Herren an, die sich kürzlich zusammengetan haben. Ute bereitet Terrinen vor und ich erkläre den beiden unsere Weihnachtsaktion. Der Herr, der zum Glück gut Deutsch spricht, erklärt seinem neuen Bekannten, um was es geht. Dieser ist begeistert, fragt immer wieder nach. Weiß zunächst gar nicht, was er sich wünschen soll. Aber dann haben wir’s, der Wunsch und der Ersatzwunsch sind notiert und sein Bekannter erklärt ihm, wie, wo und wann die Geschenke abgeholt werden können und dass er dann die Karte mit den Infos abgeben soll. Wir merken, dass er versucht, etwas auf der Karte zu erkennen – aber offenbar reicht sein Arm nicht aus. Ich nehme ihm die Karte ab und halte sie ein ganzes Stück weiter entfernt – er lacht herzlich. Ute fragt nach seinen Dioptrien und er hält 2 Finger hoch. Der Arm ist weiterhin zu kurz. Ute kramt eine weitere mit 3 Dioptrien aus – passt. Der weitsichtige Herr ist begeistert und ich feiere Ute und ihr Bauchgefühl!
Der Herr, der übersetzt hat, lehnt die Karte ab: „Lieber andere geben, ich brauche nicht.“ Oh nein – wir versichern ihm, dass wir ausreichend Karten haben und jeder obdachlose Mensch, den wir in der Stadt treffen, eine Karte erhält. Er lächelt verlegen, hält den Kopf gesenkt, weiß nicht so recht weiter. Ich kenne ihn schon lange, er war nie fordernd, hat immer nur das Notwendigste haben wollen. Ich lasse nicht locker und mache Vorschläge. Er hebt den Kopf, strahlt – Wunsch und Ersatzwunsch sind gefunden! Ihr kennt sicher den Spruch ‚Es wird einem warm ums Herz‘. Nicht nur ums Herz – die Kälte spüre ich erst, als ich wieder im Kangoo sitze.
Man kann es schlecht beschreiben: Es ist immer eine ganz besondere Atmosphäre, wenn wir mit Menschen, die auf der Straße leben, zusammentreffen, ihnen mit dem Notwendigsten helfen dürfen, mit ihnen reden, lachen und auch Traurigkeit zulassen. Diese besondere Atmosphäre lässt einen die Kälte vorübergehend vergessen.
Wir steuern eine Tankstelle an – Ute braucht einen Kaffee. Ich parke, vor dem Kangoo stehen 3 Männer, von denen einer auf die Fahrerseite zugeht. Ich öffne die Tür und er hält mir drei 10-Euro-Scheine hin: „Mein Chef möchte spenden, ich habe ihm gesagt, er soll 50 € geben, aber er hatte nur 30!“ Wir sind platt, hocherfreut – und natürlich dankbar: „Wir nehmen auch gerne 30!“
Schließlich fahren wir weiter zum nächsten Treffpunkt, der zunächst leer erscheint. Kangoo parken und warten. Aber nicht lange, dann tauchen einige Bekannte auf und wir öffnen die Heckklappe. Einer unserer Bekannten benötigt außer Nahrung einen Rucksack, trägt seine Habe in einem Zelt mit sich. Er steht sehr unsicher auf den Beinen, hat Probleme mit dem Schultern von Rucksack und Zelt, da greift ein anderer ein und hilft ihm. „Passt du ein bisschen auf ihn auf?“ Der Helfer nickt. Auch wenn sie im selben Boot sitzen – gegenseitige Hilfe ist nicht immer selbstverständlich, um so mehr freuen wir uns, wenn sie geleistet wird.
Wir fahren weiter ins Bergische zu „Rudi“, treffen dort einen weiteren Bekannten, der den Kangoo gesehen hat und eilig die Straße herauf kommt. Weiter Richtung Innenstadt, bekannte Plätze anfahren und neue suchen. Es ist 3 Uhr, wer jetzt noch auf der Straße ist, benötigt definitiv Hilfe – daher ist es uns so wichtig, Touren auch bis in den frühen Morgen zu fahren. Es sind noch oder schon wieder Menschen unterwegs, aber niemand, der unsere Hilfe braucht.