Mal kein Mond

Holgers Meldetour

03:30 Uhr
Ich stehe an einer mir und euch mittlerweile gar nicht mehr so unbekannten Tankstelle – eine von zweien, an denen ich gerne mal stehe, um nach einem Einsatz einfach auf Entspannung zu schalten.

Einfach ist das jedoch nicht, denn wenn viel passiert, ist es manchmal nicht einfach, alles zeitnah aufzuarbeiten.

Vieles davon gehört auch gar nicht hierhin, anderes hin und wieder schon, und auch wenn ich sie alle wieder sagen höre:

„Das musst du nun wirklich nicht schreiben, DAS gehört nicht dahin. Da geht es doch um dich, das müssen die Leute nicht wissen – wichtig sind unsere Bereiche, halt dich doch daran, darüber gibt es schließlich genug zu schreiben.“

Au man, joahr mag ja sein und ja, vielleicht ist das auch so, vielleicht mache ich hier bei Facebook ja mal eine eigene „Holger seufzt sich aus“-Seite. Wobei da gibt es dann bestimmt auch wieder welche, die sich darüber aufregen, was ich schreibe oder eben auch nicht.
Fühlt sich irgendwie komisch an, dieses beobachtet zu werden, mal sehen, was er heute schreibt, mal gucken, was wir ihm heute aufs Auge drücken können….

Tatsächlich irgendwie merkwürdig, hier jetzt zu sitzen und darüber nachdenken zu „müssen“, was ich schreiben möchte oder was ich schreiben soll.

Also die Form, was ich schreiben möchte, wäre die:

Gegen 2:30 Uhr erreichte mich ein Anruf – die erste Reaktion von dem, der mich angerufen hatte: „Ach du scheiße, da geht ja jemand dran.“ Meine Antwort darauf, dass man damit rechnen muss, wenn man jemanden anruft, dass auch jemand dran geht, wurde mit dem Satz „Ja, aber wer rechnet denn um diese Uhrzeit damit?“ – wie auch immer das Gespräch fortgesetzt wurde, stellte sich heraus, dass es ein Herr war, der auf dem Weg zur Frühschicht einen Menschen in der Nähe eines Friedhofs sitzen sah, der augenscheinlich gefroren hatte.

Als er ihn ansprach und fragte, ob er helfen könnte, erzählte er ihm, dass Jugendliche seinen Schlafsack vor seinen Augen zerstört hätten und sich über ihn lustig gemacht hätten. Da das Wetter aber so warm ist, dachte er, er würde auch ohne auskommen, was sich allerdings als Fehleinschätzung herausstellte. Er bräuchte einfach einen Schlafsack, um etwas an Wärme zu gewinnen.

Ok, wo also einen Schlafsack herbekommen? Google weiß alles und kennt uns auch, aber dass noch jemand ans Telefon geht – egal, der Versuch hat sich als gut herausgestellt, uns dann anzurufen.
Den Teil, als der Anruf reinkam, kennt ihr ja schon.

Also Klamotten an und auf in die Nacht.

Irgendwann kam ich dann an, der Anrufer war schon längst weiter, hatte sich aber tausendmal bedankt und mir garantiert, über uns zu sprechen. Mund-zu-Mund-Werbung ist mitunter die beste Werbung.

Und dann stand ein Hüne von Mann vor mir und ich dachte mir – Uppsala, hoffentlich passt der überhaupt in den Schlafsack. Kurz dachte ich, da steht ein Schrank vor mir – der hatte Oberarme, wie ich zwei Oberschenkel habe und die sind echt nicht schmal.

„Hi“, sagte ich und dann, ja, dann standen da gefühlte 2,00 Meter Mensch vor mir, die plötzlich anfingen zu weinen und nicht mehr aufhörten, Danke zu sagen. Ich schloss mich kurzerhand an und heulte mit ihm.

Gut, dass uns dabei niemand beobachtet hatte – das kam schon sehr spooky rüber.Er erzählte mir seine Geschichte und warum er nicht dazwischengegangen wäre, als das mit dem Schlafsack passierte, und dass er einfach keinen Ärger wollte und dies und das und jenes und alles Mögliche, was hier aber schon alleine aus vertraulichen Gründen keinen Platz findet.

Irgendwann dann fuhr ich zurück und hinterließ einen Menschen, der es nun warm hatte, der tatsächlich in den Schlafsack passte und der es mir nicht übel nahm, mich ihm anzuschließen, als er anfing zu heulen.

Und jetzt die gewünschte Version:
Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll, wüsste auch gar nicht, wie das funktionieren soll, wenn ich nicht mit meinem Herzen schreiben dürfte, mich an Vorgaben anderer zu halten, wenn es ums Schreiben geht, um diesen Stil, wie ich ihn seit Jahren schreibe, so wie ich nun einmal bin.

Frech, oftmals ohne Blatt vorm Mund, ehrlich, offen und sehr direkt, aber letztendlich auch professionell, wenn es dann um wirklich wichtige Themen rund um die Obdachlosenhilfe geht.

Ich fahr jetzt mal nach Hause. Ich wünsche euch noch eine schöne Restnacht. Lasst euch nicht ärgern von Menschen, die es nicht ehrlich mit euch meinen und nur sich auf dieser Welt sehen und tun sie das mal nicht, sich dann plötzlich von ihrer oftmals wirklich nicht schönen Seite zeigen.
Bleibt so, wie ihr seid, lasst euch von niemandem verändern, bleibt euch selber treu und steht hinter dem Menschen, der euch am meisten vertraut und der am meisten zu euch steht – hinter euch selbst.

Das mit der eigenen Seite überlege ich mir mal, wenn ich dann mal Zeit habe, so in ein paar Jahren vielleicht.

Holger und out!
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