Tour Witten / Bochum
Heute war eine Tour durch Witten Bochum und Hagen geplant, doch erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt.
Wir machten uns also auf – erste Station war das Lager, in dem wir heißes Wasser zubereiteten und die Thermoskannen auffüllten.
In einem Fahrzeug haben wir immer vier Liter dabei und wenn es mal nicht reicht – irgendwo brennt noch Licht und auf den Mund gefallen sind wir ja auch nicht.
Dann ging die Fahrt los Richtung #Witten, hier sollten wir aber niemanden finden und wir fuhren weiter nach #Bochum.
Uns interessierte, wo sie sich alle verstreut hatten, nachdem sie unter der Brücke geräumt wurden.
Als wir auch dort niemanden fanden, wollten wir gerade weiterfahren, als mir im Augenwinkel eine Decke auffiel und so leid es mir tat, die Person unter der dünnen (wieder eine) Fleecedecke wecken musste.
Das ging gar nicht, bei den Temperaturen und einer wirklich dünnen Decke zu schlafen, die ganze Nacht auf dem kalten Beton – da kann man noch so abgehärtet sein, dass zieht durch sämtliche Knochen und ist definitiv nicht gesund, wenn man überhaupt von einem gesunden Leben reden kann, dass auf der Straße stattfindet.
Dann bewegte sich die Decke und ein uns bekanntes Gesicht schaute uns mit ganz kleinen und müden Augen an.
Hey, es tut mir im Herzen leid, dass ich dich geweckt habe, sagte ich aber es musste einfach sein.
Seine Sachen, auch Schlafsäcke hatte er in einem Unterbringungsort, in den ihn vor ein paar Tagen eine private Initiative gebracht hatte, damit er zur Ruhe kam.
Dafür auch ein Danke von uns an Euch – wer auch immer ihr seid!
Am Freitag wollte er aber am Bahnhof schauen, ob er ein paar seiner alten Leute wiedersieht und verbrachte dann das Wochenende am Bahnhof.
Vor Freitag bis heute unter dieser dünnen Decke – Wahnsinn.
Das hätte auch ins Auge gehen können.
Als erstes, auch wenn er einen Schlafsack hat, dieser aber in der Unterkunft liegt, gaben wir ihm einen neuen – bringt ja nichts, wenn er friert, da musste was passieren.
Eine Isomatte, die die Kälte abhalten sollte, gab es auch und eine heiße Suppe und zwei Becher heißen Tee, sollten ihm ein bisschen zusätzliche Wärme schenken.
Wir kennen seine Geschichte, eigentlich sein ganzes Leben und er ist ein wirklich toller Mensch, jemand mit einem riesigen Herz, jemand der irgendwann mal vom Weg abgekommen ist und heute da gelandet ist, wo wir ihn schon oft getroffen haben aber er ist und bleibt ein toller Mensch.
Und diesem Menschen war es heute danach uns seine Lebensgeschichte nochmal zu erzählen, uns über seinen Freund zu erzählen, die er auf der Straße bereits verloren hat, Menschen, die der Straße nicht trotzen konnten, die diese Art zu leben, nicht überlebt haben.
Dazu gehörte auch sein bester Freund, auch jemand den wir kannten, jemand der definitiv so wie viele andere, die dort leben auch seine Probleme mit sich rumtrug, jemand der offen und ehrlich war und dem man trauen konnte, wenn er was sagte.
Ein Freund für ihn, der ihn auf seinem Weg begleitete und das schlimmste für ihn war, dass er nicht rechtzeitig bei seinem Freund sein durfte, um sich zu verabschieden. Denn als er an der Stelle, an der er verstarb, ankam, war er schon abtransportiert worden.
Wir merkten deutlich, dass ihn das auch heute noch sehr mitgenommen hat und er sich so sehr gewünscht hätte, seinen Freund noch einmal die Hand zu reichen, um sich zu verabschieden.
Ich glaube an dieser Stelle, kann gerade jeder nachempfinden, der es schon erlebt hat, wie es ist, wenn jemand stirbt und man nicht „Tschüss“ sagen kann oder darf oder wie auch immer.
Da nagt an einem und viele von uns haben die Möglichkeit mit der Familie darüber zu reden und sich gehen zu lassen aber auf der Straße herrscht ein anderes Gesetz. Bist du da nicht hart, haste so gut wie verloren und seine Gefühle auf den Tisch zu legen, könnte man vielleicht machen aber all die anderen, die dort leben, haben alle ihre eigenen Probleme und da kommt sowas einfach nicht an.
Heute waren wir es, die sich das angehört haben, die mitbekamen, wie er hin und wieder seine Sätze unterbrach, weil er einen Moment in sich gehen musste, um bloß kein Tränchen zu verlieren, um nicht das zu zeigen, was er auf der Straße gelernt hat – nur nicht weich werden – hart bleiben – einfach hart bleiben.
Jens und ich standen vor ihm und ich muss zugeben, nach etwa 45 Minuten war mir Ars***kalt und ich glaube Jens auch, doch wir wollten ihn einfach nicht unterbrechen, denn immer, wenn ich mich zum Auto drehte, fing er direkt einen neuen Satz mit einer neuen Geschichte, seines Lebens an.
So als wollte er sagen – geht noch nicht – ich habe noch so viel zu erzählen.
Nach einiger Zeit kam er – ich weiß gar nicht mehr in welchem Zusammenhang das war – jedenfalls kam er darauf, dass er eine funktionierende SIM-Karte hat aber ihm, um mit anderen in Kontakt zu bleiben oder uns einfach mal anzurufen, ein Handy fehlt – ohne lange zu überlegen, drehte ich mich auf dem Absatz um, ging zum Auto und holte ihm ein Handy.
Das dürfte kein Problem sein, sagte ich – es ist sogar wichtig, dass du – wenn irgendwas ist oder auch selbst, wenn nichts ist, einfach jemanden anrufen kannst.
Brauchst du vielleicht auch ein Radio, fragte ich. Hin und wieder so ein bisschen Musik hat noch nie jemanden geschadet und er schaute, überlegt und nickte dann und Hokus Pokus, gab ich ihm ein Radio, mit einem Satz Batterien dazu.
Und dann, dann schauten wir uns an und ich sagte ihm, dass wir uns jetzt schon so lange kennen und ich mir so sehr für ihn wünschen würde, dass er eine kleine Wohnung für sich finden würde, etwas das für ihn den Anfang machen würde, einfach neu zu starten, für ihn dadurch eine neue Geschichte in seinem Leben beginnen könnte und er nicht zu denen irgendwann gehört, über die wir schreiben, auch wenn sie gar nicht mehr auf dieser Welt wären.
Danach verbrachten wir noch etwas Zeit miteinander und irgendwann mussten wir dann los, nach Hause, ins Warme – die Kälte aus den Knochen verjagen und euch darüber berichten, wie unser Abend war, der uns letztendlich dann doch nicht mehr nach #Hagen führte, der diesem Menschen aber eine gute Stunde vier offene Ohren schenkte, die ihm zu hörten und euch die das hier lesen vielleicht beim nächsten Mal, wenn ihr einen obdachlosen Menschen antrefft, daran erinnert, dass all diese Menschen eine Geschichte haben und jeder von ihnen glücklich ist, wenn er oder sie, euch diese Geschichte vielleicht erzählen darf, weil schon lange vorher niemand mehr zugehört hatte.