2,4 Liter

2,4 Liter – die Zahl wird mir erstmal nicht mehr aus dem Kopf gehen.
 
Wir haben Donnerstag am frühen Abend – ich sitze noch ein bisschen im Home Office, als ich vor der Endscheidung stehe – ins Bett zu gehen oder loszufahren und mich Tanja und Susanne, auf ihrer Tour durch Hagen anzuschließen.
 
Donnerstag ist DRK-Tag – also einer dieser Tage, an dem uns das DRK begleitet und wie immer eine frische Suppe an Bord hat.
 
Letzte Woche war es Tomatensuppe mit Nudeln, davor die Woche gab es Kartoffelsuppe und gestern eine herzhafte Gemüsesuppe, über die sich viele Menschen sehr gefreut hatten.
 
Die Straßen gestern Abend waren unnatürlich voller Menschen, die so hatte ich es irgendwie mitbekommen, den Anfang der Schulferien feierten.
Früher als bei mir die Schulferien anfinden ging ich nach Hause, lehnte mich zurück und machte mir ein paar ruhige Tage, unternahm etwas mit der Familie und freute mich Oma zu besuchen.
 
Heute scheint sich die Welt, wie vieles andere auch – sehr verändert zu haben.
 
Da kommen dir Horden an jungen Menschen entgehen, die fast jeder eine 1,5 Liter Flasche Eistee bei sich tragen, in der vielleicht auch Eistee drin sein mag aber so wie die Ersten zu Fuß waren, auch andere etwas härtere Sachen.
 
Menschen, denen es nur darum geht aufzufallen. Die einen vollkommen cool – mitten in der Nacht, mit Sonnenbrille unterwegs, andere halbnackt, quasi kaum was an – nur um Bein, bis fast schon alles vom Po zu zeigen.
 
In der Hofnung, dass Menschen mit nicht wirklich psychisch gesunden Gedanken irgendwann in der Nacht, auf die treffen, deren alkoholischer Zustand ihre zuvor ach so tolle zur Show stellung, ihres Körpers, es dann nicht zu schlimmern Ereignissen kommt, denn auch hier ist vieles anders als früher.
 
Es wurde niemand zurückgelassen, alle gingen gemeinsam nach Hause – heute sieht man umso später die Nacht eintritt immer mehr Menschen, die alleine unterwegs sind und mit dem Zustand in dem sie sich irgendwan befinden, alleine gelassen werden.
 
Party Party Party
 
Sollen sie, scheint ja auch Spaß zu machen – nur den Sinn, werde ich wohl nicht da drin verstehen, dass irgendwann in den folgenden Morgenstunden irgendwer in den Seilen zu hängt, nicht mehr zu weiss, wo oben und unten ist oder und vielleicht auch andere komische Dinge zu getan haben, wenn sie sich dann überhaupt daran erinnern.
 
Man denkt der Typ negativ – mag sein aber wir haben schon Pferde vor der Apotheke kotzen gesehen und es ist ja nicht nur so daher geschrieben – hier treffen sehr viele Geschichten und Leben, die uns erzählt wurden aufeinander.
 
Alkohol ist scheisse und bringt dir für den Augenblick vielleicht einen kleinen Kick, lässt dich für den Moment vergessen, macht dich kurzfristig zum Pausenclown der Nation und reibt sich die Hände, wenn er dann welche hätte und freut sich auf die nächste Ekstase, wenn du dir dann wieder das Zeug hinter die Binsen gießt, um dir einen Freund vorzugaukeln aber sich irgendwann als dein Feind entpuppt.
 
Wir sehen das fast täglich auf den Straßen, wenn sehr junge Menschen vor uns stehen – zitternd ihre Hände kaum in den Griff bekommen, nicht weil sie frieren, sondern weil sie auf die nächste Druckbetankung warten, damit die Sucht – die irgendwann entstanden ist, ein kleines bisschen herunterfährt und der Körper sich damit zufriedengibt und dich für einen Augenblick nicht daran denken lässt, wo du den nächsten flüssigen Stoff herbekommst.
 
Vielleicht ist das ja auch weit hergeholt und ja lasst sie doch feiern und nein wir wollen niemanden den Spaß verderben – sollen sie doch – aber dann vielleicht einfach so wie früher wo man sich mal hier und da ein Bierchen gegönnt hat, mit Freunden einfach ganz in Ruhe bei einem Glas Wein zusammengesessen hat und dem Gaumen eine feine Note, von irgendwelchen Trauben zugeführt hat und nicht so wie heute – eine Druckbetankung macht, nur um cool auszusehen, dazu zu gehören.
 
Hannes oder Bärbel zu heißen zu heissen, der/die am nächsten Tag, nach dem ersten fiesen Kater – cool damit angeben zu können, was man alles vertragen hat, um dann am nächsten Wochenende das Ergebnis noch einmal zu toppen und dann nochmal zu toppen und nochmal zu toppen.
 
Unser jüngster obdachloser Mensch, den wir kennen – ist zurzeit 29 Jahre alt (und das ist relativ alt, wir kannten schon viel jüngere) und er gehört zu denen, die gerne die Zeit zurückdrehen würden, um bei diesem Spiel nicht mitzumachen und heute nicht zu der Gruppe der schweren Alkoholiker zu gehören.
 
Lass sie trinken, dachte ich mir – lass sie ihren Spaß haben – die Frage ist nur – warum alles mit Druck und schnell – schnell – schnell aber lass sie trinken und wenn es in die Hose geht und es sich jetzt auch zugegeben sehr böse anhört – lass sie feiern und trinken aber vielleicht sieht man sich irgendwann mal auf der Straße, wenn du der/die da immer wieder aufs äußerste gefeiert hat, zu denen gehörst, die es irgendwann mal bereuen werden.
 
Und dann waren da gestern noch die vielen Straßenmenschen, die sich wie all zu oft nicht nur über uns freuten, sondern auch uber die Besatzung des DRK, die uns an diesen Tagen begleiten, eine Suppe dabei haben und um sich Platzwunden oder andere Kleinigkeiten anschauen, bei denen die Profis, die entscheiden können, ob nun ein Verband reicht oder es vielleicht, doch sinnvoller wäre ins Krankenhaus zu fahren.
 
Profis eben, die für sowas ausgebildet sind und nicht einfach mal irgendwas verbinden und damit mehr Schaden anrichten, als er eigentlich schon vorhanden ist.
 
Einer von ihnen stand wie eine Statue vor uns, schaute sein Suppe an und sprach mit ihr, als würde er sich mit einem Freund unterhalten, der andere berichtete uns darüber dass auch heute wieder Unmengen an Geld in den Automaten geflossen sind und er letztendlich aus dem Spiel als Verlierer hervorging und er tat so, als wenn das für ihn in Ordnung wäre, doch irgendwo in ihm sagte ihm bestimmt eine Stimme, dass das was er tut, nicht wirklich normal ist aber auch hier ist die Sucht stärker, als der Verstand.
 
– Leider –
 
Und dann war da der Herr, der zum DRK Mobil kam, den vorher Tanja und Susanne angesprochen hatten und der erst all seinen Mut zusammennahm, als sie ihm sagten – dass es eine leckere Gemüsesuppe gibt und er sich dann auf den Weg machte, um sich eine zu holen.
 
Falsch! Es waren zwei, drei, vier, fünf und dann sechs – insgesamt also bei einer Füllmenge einer einzelnen Schale von 400 ml alles zusammen dann 2,4 Liter warme Gemüsesuppe, die der Herr dann gegessen hatte und das relativ schnell und wenn man seinen Augen glauben durfte auch sehr dankbar war.
 
Danach beendeten wir unsere Tour, fuhren zurück ins Lager, Tanja und Susanne fuhren nach Hause und auch ich überlegte dann nicht mehr lange und ging dann auch irgendwann einmal in mein Bett.
 
 
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Bundesweite Sucht & Drogen Hotline
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