5:30 – Feiermorgen

Holger schreibt…

Jetzt mal ganz ehrlich, das kann es ja beim besten Willen nicht gewesen sein. Das ist schon mehr als skurril, irgendwie auch bekloppt und total daneben.

Da fallen einem einfach keine Worte ein – jetzt können wir schon wieder nur einen Mond posten. Erst beim letzten Bericht hatten wir einen Sonnenuntergang und davor zum x-ten Mal den Vereinswagen.

Langsam reicht es wirklich. Damit kann man nun wirklich keine Aufmerksamkeit bekommen, wenn man nichts hat, was man zeigen kann.

Sowas eben wie diese Menschen, na, wie heißen sie doch gleich, diese Penner, Stadtstreicher, obdachlosen Nichtstuer – von denen kann man ja mal ein Bild machen. Und wenn das nicht reicht, auch eins von ihrem Wohnzimmer, ja genau, das unter dem freien Himmel, was sie lange gesucht haben, damit es auch sicher ist. Und wenn das nicht, dann eben von der Umgebung. Aber irgendwas muss da als Bild hin, damit auch der Rest gelesen wird und man Aufmerksamkeit bekommt.

Aufmerksamkeit
Aufmerksamkeit
Aufmerksamkeit
Für was? Aufmerksamkeit auf Kosten von Menschen in prekären Lebenssituationen?
Nein Danke!

Und ja, genau das kann es wirklich nicht sein. Wir sind absolut dagegen, Bilder von obdachlosen Menschen zu posten, um niemandem die Möglichkeit zu geben, einen Menschen wiederzuerkennen, der nicht wiedererkannt werden sollte. Damit nicht irgendein Max Mustermann die Möglichkeit bekommt, seine kranken Fantasien auszuleben und jemanden einfach mal so zum Opfer werden zu lassen, nur weil eine Stelle zu erkennen war, wo diese obdachlose Person schläft.

Ich bin nicht fassungslos darüber, dass wir hier Mond 1, Mond 2 und Mond 3 posten – ich bin fassungslos darüber, dass hier mit den Rechten von Menschen gespielt wird, die sich nicht dagegen wehren können.
Und wisst ihr, wie ich darauf komme?
Heute früh, kurz nach 00:00 Uhr, bekam ich eine WhatsApp mit der Bitte, dass wir doch nach Wuppertal kommen möchten, weil jemand Hilfe braucht.
Zu diesem Zeitpunkt war ich aber auf einer Meldung am äußersten Zipfel des Märkischen Kreises und konnte nicht genau sagen, ob ich das überhaupt noch schaffe.
Als Antwort bekam ich: „Das ist okay, ich muss mir keine Sorgen machen, es wäre dann eben so, und die Person, weil sie beklaut wurde, würde dann eben ohne alles dastehen.“

Plöpp – Treffer – Versenkt.

Eine Lösung musste her, und die war, meinen Meldeplan umzustricken. Denn nach dem Märkischen Kreis hatte ich noch eine weitere in Hagen, die jedoch musste jetzt erst einmal warten.

In Wuppertal angekommen und auf der Fahrt dorthin, tatsächlich im Kopf immer die Frage, was für ein Bild für den Bericht, erschienen mir immer ganz viele Fragezeichen. Ich hätte ja zig Fotos zur Hand, ich müsste die einfach nur fotografieren. Sie sind ja jede Nacht direkt vor mir: diese aufgeplatzten Hände, die von der Sonne verbrannte Haut, die Wunden auf ihren Händen und Beinen oder auch diese aufgedunsenen Beine, die voll Wasser gelaufen sind. Lippen, Augen, Wangenknochen mehrmals eingeschlagen, voller Narben und Blutresten, Augen und Gesichter, die du niemals vergessen würdest. Füße die wochenlang kein Licht gesehen haben und Socken, die durch das enstandene Wundwasser schon in die Haut eingewachsen sind, Hautausschläge, offene Wunden, die die Konsequenz von Drogenkonsum sind, kaputte Venen, triefende Platzwunden am Körper und Stellen von Schlafplätzen, die man niemandem gönnen würde, die aber ihr sicheres Zuhause sind und die nicht berührt werden dürfen, auch nicht nur einmal.

Gleich zu Anfang kamen vier Menschen auf mich zu, und einer von ihnen sagte: „Siehste, die kommen um die Uhrzeit, um nach uns zu sehen. Siehste,“ sagte er, „die haben uns nicht vergessen. Siehste,“ sagte er. „Ja, ja,“ entgegnete der andere, „du hast ja recht.“

Siehste…

Man kann nicht beschreiben, wie glücklich diese Menschen in dem Augenblick sind, wenn wir sie dann tief in der Nacht finden. Und man kann auch nicht beschreiben, wie stolz sie sind, wenn sie einen Schritt nach dem anderen gegangen sind, um zumindest nur ein paar Zentimeter näher zurück zur Gesellschaft zu kommen.

Man könnte ihnen aber auch nicht beschreiben, was mit ihren Bildern oder Videos im Internet passiert, die dort einmal gepostet werden. Und erklären könnte man ihnen auch nicht, dass sie ab dem Zeitpunkt gar keine Rechte mehr an ihrem eigenen Bild hätten. Würde man ihnen sagen, wie weit all das geht und was alles passieren kann, bin ich mir sehr sicher: Niemand würde zulassen, dass irgendwas von sich gepostet wird. Nicht von sich und nichts von hier und da und von dort und überall, wo sie sich eben gerade befinden, wo sie eben gerade leben.
Wäre es richtig dieses tiefe Vertrauen zu missbrauchen für einen Moment Aufmerksamkeit?

Wir sagen nein und was sagst du?

Ich wurde wirklich sehr herzlich verabschiedet, und man spürte diese Herzlichkeit in ihnen allen. Einer von ihnen fragte mich nochmal nach meinem Namen, und ich antwortete mit „Holger.“ „Holger heiße ich,“ woraufhin er lächelte und sagte: „Holger, es ist schön, dass es dich und das da gibt.“ Mit „das da“ meinte er das große grüne Auto und eben den Verein, UNSICHTBAR e. V.

Momente, die selbst mich nach all den Jahren Gänsehaut spüren lassen, und das ganz ohne ein Bild, das ich/wir ins Internet stellen, um irgendwen zu zeigen, dem wir geholfen haben.

Es geht auch einfach nur mit einem Mond und der Kunst, so schreiben zu können, dass sich jeder, der diese (wenn auch langen) Texte liest, vorstellen kann, wie es in diesem Augenblick gewesen ist, als wir eben helfen durften.

Und dann traf ich ihn doch noch. Er war richtig glücklich, hatte nicht mehr mit mir gerechnet, hat sich wirklich gefreut und konnte dann mit allem, was wir im Angebot haben, seinen Weg fortsetzen und nahm dann auch noch etwas ganz Wichtiges mit auf den Weg.

Wissen darüber, dass wir nicht mal kurz vorbeikommen und dann weiterfahren, sondern wissen darüber, dass wir uns die Zeit für sie nehmen, die sie brauchen – für diesen Moment, für diesen Augenblick.

Danach ging es für mich noch nach Hagen. Und weil ich dann wieder kein Bild hatte, musste mal wieder der Mond herhalten, um zu zeigen, wie spät bzw. früh es mal wieder geworden ist, wenn wir da draußen helfen, dann wenn alle anderen schlafen.

Wie sich das anfühlt, das Lächeln derer zu sehen, denen wir helfen?

Kann ich dir nicht sagen, musst du selbst erleben – werde ein Teil von UNSICHTBAR e. V. Nutze jetzt die Möglichkeit, denn jetzt gerade suchen wir noch 12 ehrenamtliche Mitarbeiter.

Fühle und spüre dieses einzigartige Ehrenamt und hey, Fotografieren ist bei uns auch erlaubt, aber eben nicht die Menschen und die Orte, an denen sie schlafen, sondern Motive, die zeigen, wie kreativ du bist, um etwas darzustellen, was dann letztendlich doch was mit unserem Ehrenamt zu tun hat.

Bis bald, ich freue mich, jeden, der möchte, schon bald im Team UNSICHTBAR e. V. begrüßen zu dürfen.
👉 Teilen schafft Wissen – Danke das du unsere Artikel teilst 👈
===================================================================================
EHRENAMT BEI UNSICHTBAR e. V.
Das Ehrenamt bei UNSICHTBAR e. V. besteht nicht ausschließlich aus der Arbeit auf der Straße. Bring dich zum Beispiel in der Fahrzeugpflege mit ein, sortiere, packe und waschen und reinige regelmäßig unsere Fahrzeuge, denn auch das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe.
Werde Teil von etwas Großem – werde ein Teil von UNSICHTBAR e. V.“