Eine Meldung kommt selten allein.
Eine Meldung kommt selten allein.
Gegen 17:00 Uhr am Sonntagnachmittag erreichte uns die erste Meldung, zu der ich prompt hingefahren bin, doch leider war weit und breit niemand zu sehen.
Hoffentlich keine Spaßmeldung, denn dafür fehlt uns der Humor, vielleicht aber auch eine echte Meldung, die dann aber schon weiter gezogen ist, obwohl ich keine 10 Minuten später vor Ort war.
Danach ging es zu Oma, eine Kerze anzünden – viel zu kurz war ich bei ihr, sonst bleibe ich eine Weile und rede mit ihr, auch wenn sie schon lange tot ist.
Heute setzte ich unser Gespräch mit ihr dann im Auto fort, weil ich musste los.
Eine Familie besuchen, der es nicht gut geht, die keine Heizung hat und dessen Kind krank ist.
Da musste ich hin und mir ein Bild von dem Ganzen machen.
An einem Sonntag? Ja genau – an einem Sonntag und es war gut das ich da war, denn dort müssen und werden wir helfen und das unverzüglich, unbürokratisch und schnell – die Priorität dieser Familie steht an erster Stelle.
Gleich werde ich mich noch hinsetzen und das Internet durchlesen und morgen werden dann Bea und ich eine Lösung finden – definitiv eine schnelle Lösung.
Im Gespräch ging dann mein Telefon – noch eine Meldung – ein junger Mann beantwortete meine Frage, wie wir helfen können mit einer kurzen Antwort.
„Hunger, ich habe einfach nur Hunger und mir ist entsetzlich kalt.“
Ich beendete das Gespräch mit der Familie, von dem die Familie sagte, dass es ihr gut getan hätte, über all ihre Sorgen sprechen zu können – offen und ehrlich.
Ganz ehrlich gesagt, ich war ein bisschen froh als ich ins Auto steigen konnte und mir da die Seele aus dem Leib heulen durfte, als wäre ich bei ihnen sitzen geblieben und es wäre mir bei ihnen passiert.
Geholfen hätte ihnen das bestimmt nicht, bei all dem was sie bisher durchmachen mussten.
Unterwegs ging dann das Telefon erneut.
Einmal, zweimal und auch ein drittes Mal – alles Meldungen von Menschen, die entweder unsere Nummer gewählt hatten, weil sie einen obdachlosen Menschen gesehen haben oder eben auch die Menschen selbst, die unsere Hilfe brauchten.
5 Stunden Schlaf reichen irgendwie nicht aus, um eine solche Flut zu meistern aber was machen wir da?
Augen zu und durch – wir versprechen nichts, was wir nicht auch halten können.
Dann bei der ersten Meldung angekommen, die zweite saß keine 10 Meter daneben.
Ein junger Mann, um die 30 erwartete mich bereits, in einem T-Shirt, Jogginghose und vollkommen kaputten Schuhen.
Was um Himmelswillen ist mit dir passiert, fragte ich?
Beklaut habe man ihn und weil all das nicht reichte, nahm man ihm auch seine Kleidung, bis auf das T-Shirt und die Jogginghose und eben diesen kaputten Schuhen, die er trug.
Ich schaute an mir herunter, Hoody an – Winterjacke an und immer noch am frieren – dann schaute ich ihn und ich hätte direkt wieder heulen können.
Ich habe Hunger sagte er, ich habe seit drei Tagen nichts gegessen, ich habe einen solchen Hunger!
Das sollte sich ändern.
Kurz den Herren der DB Sicherheit Bescheid gegeben, dass ich das Auto auf dem Vorplatz des Bahnhofs stehen lasse und gleich wieder komme.
Die viele und intensive Arbeit mit Behörden und zuständigen Menschen hat Fuß gefasst – hier und da ist es eben UNSICHTBAR e. V. die auch schonmal etwas mehr dürfen und darauf sind wir stolz, denn es erleichtert uns unsere Arbeit um ein vielfaches.
Bevor ich mit dem jungen Mann auf Nahrungssuche ging, schaute ich noch schnell bei der jungen Frau vorbei, die uns ebenfalls gemeldet wurde und fragte sie, was ich ihr Gutes tun könnte.
Etwas zu essen wäre super, sagte sie und etwas zu trinken.
Gesagt – getan, der nächste Imbiss war unserer und es gab, wie der junge Mann es nannte, ein Festmahl, dabei waren es nur zwei gut gefüllte und sehr lecker aussehende Grillteller.
Ich weiß gar nicht, wie mir geschieht, erst hungere ich und dann kommt ein Grüner Engel vorbei und beendet den Hunger, sagte die junge Frau.
Beide bekamen noch eine Cola oben drauf, damit es besser flutscht.
Sie bekam auch noch einen TOM, eine Isomatte und einen Schlafsack und er, für ihn musste mehr her.
Also sagte ich ihm, dass er in Ruhe essen soll und ich kurz zum Lager fahre und ihm, aus unserem zwischenzeitlich geführten Gespräch ein Zelt und eine dicke Isomatte hole.
Auf dem Weg ins Lager kam dann auch schon die nächste Meldung aus Bochum rein, wobei ich zugeben muss, dass meine Konzentration und mein Bedürfnis nach einer Portion Schlaf nicht ohne wären, vor allem hatte ich zwischendurch noch eine weitere Meldung aus der näheren Umgebung bekommen.
Und dann war da noch dieser Anruf von einem Flaschensammler, der mir noch eine weitere Person genannt hatte, der wir aber bereits gestern helfen wollte, die aber keine Hilfe annahm.
Er fände das was wir tun so sehr gut, dass er – wenn er nun in der Nacht Flaschen sammeln geht, noch mehr aufpassen würde und sobald er jemanden findet, uns anrufen wird.
– Das ist sehr gut –
Meldestatus inklusiv derer, um die ich mich bereits gekümmert hatte – insgesamt 7 an der Zahl.
Also fuhr ich ins Lager, holte die Sachen und brachte sie dem Herrn, gab ihm auch gleichzeitig noch eine Infobroschüre der Diakonie mit auf den Weg.
Heute Nacht wird er es wärmer haben, als die letzten Nächte und morgen wird er sich melden und übermorgen und die nächsten Tage auch und uns erzählen, wie es ihm geht.
Und hoffentlich wird er sich bei der Diakonie melden, wo sehr freundliche und nette Menschen arbeiten, die ihm auch helfen können.
Auch wird ihm am Montag, also heute – ein Team, neue Schuhe bringen, wenn er dann nicht schon welche aus der Kleiderkammer bekommen hat.
Für ihn sind wir nun die Engel in grau – warum grau? Weil er Farbenblind ist und grün für ihn grau ist, dafür aber wie er sagt, es ein schönes grau ist.
Die Meldung aus Bochum stand noch immer im Raum, und der kleine Ausrutscher, der mich beinahe in den Graben geschubst hätte, weil mir die Augen zugefallen sind, auch.
Also was tun?
Erst noch die drei Meldungen in der Nähe anfahren, hier freuten sich die Leute über einen heißen Kaffee und eine Suppe – dass heiße Wasser hatte ich im Lager vorsorglich mitgebracht.
Und dann Bochum – ich hatte so ein schlechtes Gewissen, vielleicht nicht dahin fahren zu können, um auch dort zu helfen – das Problem war einfach meine Müdigkeit.
Also rief ich an und fragte, wie wir helfen können und als Antwort kam – ein Kaffee wäre toll.
Ein Kaffee – und auch diesen hätte ich ihnen gerne gebracht, ihnen dann aber auch ehrlich gesagt, dass ich hundemüde bin und ob es schlimm wäre, wenn ich ihnen keinen Kaffee bringen würde?
Es war nicht schlimm, es wäre ok und es wäre wichtig lieber ein andermal einen Kaffee zu bekommen, als wenn vielleicht etwas passieren würde und gar kein Kaffee mehr kommt.
Und was soll ich sagen, ich war sehr sehr erleichtert – wäre es was anderes gewesen, wäre ich noch hingefahren aber so bin ich jetzt nicht nur dankbar dass ich helfen durfte, sondern auch dankbar, dass ich jetzt eine Mütze Schlaf finde.
Ein, zwei Stunden reichen schon, denn wenn dann die nächste Meldung kommen sollte, bin ich da.
Und warum wir nicht im Team gefahren sind?
Schon vergessen?
Wir haben Sonntag – unser großartiges Team hat Familie, ein Privatleben und muss heute früh raus und der wöchentliche unaufhaltbare Einsatz, das unser Team immer und immer wieder leistet, muss unbedingt auch mit einem freien Tag in der Woche belohnt werden und darauf bestehe ich, dass sich da auch (fast) jeder dran hält.
Wir haben jetzt 01:20 Uhr – ich muss noch etwas für die Familie suchen und gehe dann mal ins Bett.
Euch allen einen schönen Wochenstart