Eint Menschen die Obdachlosigkeit?
Karin schreibt…
Eint Menschen die Obdachlosigkeit?
Ein klares Jein. Aber von Anfang an: Am 29.04.2024 ist die geballte Frauenpower unterwegs – Sina, Susanne S. und ich (Karin). Zunächst packen wir den Kangoo neu – der Winter muss raus und der Sommer rein. D.h., dass Schlafsäcke und Isomatten gegen die für höhere Temperaturen ausgetauscht und die warme, zusätzliche Unterwäsche zurück ins Lager geräumt werden – Unterwäsche für höhere Temperaturen sind in den TOM’s enthalten. Warme Socken bleiben in ihrer Schublade im Kangoo – auch im Sommer kann man in kühleren Nächten kalte Füße haben und da sind warme Socken ein Segen (ich spreche aus eigener Erfahrung… ).
Wir fahren los, finden zunächst jedoch niemanden, der Hilfe benötigt. An einem Ort, an dem sich obdachlose Menschen eine Unterkunft eingerichtet haben, treffen wir Bekannte an, die wie immer froh sind über unsere Ankunft und eine Grundversorgung für den Rest der Nacht. Sie schicken einen ihrer Mitbewohner los, um Terrinen, Getränke und Süßes zu holen. Trotz einiger Sprachprobleme verstehe ich, dass er froh ist, dass es endlich wärmer wird. – Hygienebeutel werden dieses Mal dankend zusätzlich angenommen und die in selbstgehäkelte Beutel verpackten Seifenstücke (hier nochmals ein Dankeschön an die Spender) zaubern ein verzücktes Lächeln in das Gesicht des „Einkäufers“, als Susanne ihm erklärt, was der Beutel enthält und er daran schnuppert. Es ist immer wieder bewegend, welche Reaktionen so ein Stück duftende Seife in einem Häkelbeutel auslöst! Wenn der Vorrat aufgebraucht ist, weiß ich eine Aufgabe für eine handarbeitende Freundin…
Weiter geht’s Richtung Innenstadt. Auch hier ist es ruhig – bei diesen Temperaturen haben es die obdachlosen Menschen leichter, können sich eher zurückziehen und zur Ruhe kommen.
Ein Einsatzwagen der Polizei kommt uns entgegen – fröhliches Winken von Fahrzeug zu Fahrzeug: Man kennt sich.
An unserem (vorläufig) letzten Halt treffen wir auf etliche Bekannte, die sukzessive am Kangoo eintrudeln. Zu dritt kommen wir kaum mit der Zubereitung der Wünsche hinterher – dieses Mal haben einige zusätzlich noch großen Gesprächsbedarf. Keine Frage – auch dafür stehen wir zur Verfügung! Ein großes Thema bei einigen ist heute der Kampf mit Ämtern und Wohnungssuche. Sie müssen ihrem Ärger und ihrem Frust und ihrer Verzweiflung einfach mal Luft machen. Es nähert sich ein alter Bekannter, der leider für seine fordernde, eher ruppige Art bekannt ist. Er drängelt sich vor, die Terrinen gefallen ihm nicht, ich versuche vergeblich, ihm den Inhalt zu erklären. Dann fängt er an, die anderen zu beschimpfen, die sich das nicht gefallen lassen. Es wird im wahrsten Sinne des Wortes eng, wir stellen uns dazwischen, versuchen die Parteien zu beruhigen. Angst? Oh nein. Wir wissen, sie vertrauen und schätzen uns, wir sind sicher. Ich versuche es mit etwas Autorität, strecke den Arm aus, deute in die entgegengesetzte Richtung und sage sehr bestimmt, er möge jetzt gehen. Ich bin selbst erstaunt, dass er plötzlich einknickt und sich einige Meter entfernt. Und tatsächlich Ruhe gibt. Wir beruhigen die anderen und weiter geht’s mit der Ausgabe und dem sich Frust von der Seele reden.
Der etwas bockige Herr nähert sich, seine Stimme ist jetzt ruhig, die Terrine mit Nudeln, die er vorher vehement abgelehnt hat, ist nun akzeptabel. Geht doch. Was Süßes erhält er auch, und reichlich zu trinken. Nein, doch lieber was anderes, die Kekse sind nicht genehm, einmal möchte er Wasser „mit Gas“, dann ohne, dann wieder mit – und wieder ohne. Sina erklärt ihm ruhig aber bestimmt, dass er die Sprudelwasserflasche ja öffnen, wieder verschließen und durch Schütteln die Kohlensäure entweichen lassen kann. Es reicht ihm, er stellt die Flasche auf den Boden und geht (er hat schließlich 2 weitere Flaschen in der Tasche). Es steht uns nicht zu, sein Verhalten zu verurteilen. Wir wissen nicht, welches Leben hinter ihm liegt, was ihn so verbittert gemacht hat. Die anderen schimpfen noch ein bisschen über seine Art, aber dann gibt’s Wichtigeres.
Nein, das gemeinsame Schicksal der Obdachlosigkeit eint nicht wirklich. Es gibt durchaus eine Art Freundschaften, Wohngemeinschaften. Dort passt man auch ein bisschen aufeinander auf, ruft uns bzw. Stellen, die wir genannt haben, an, wenn Notfälle eintreten. Aber schlussendlich vertrauen sie niemandem. Auf der Straße gelten eigene Gesetze. Zu groß ist das Misstrauen, die Angst vor Gewalt, bestohlen und betrogen zu werden – ja, auch von den Menschen, die dasselbe Schicksal teilen. Es geht allein ums eigene Überleben.
3 Mal bereiten wir die Rückfahrt vor – aber jedes Mal kommt noch Jemand, dem wir helfen dürfen.
Schließlich startet Sina den Kangoo und es geht Richtung Lager. Wir sind zufrieden – der gut aufgefüllte Kangoo ist fast leer, wir können beruhigt Feierabend machen. Sieht aber eine gute Bekannte anders. Da wir ja eh auf unseren Touren eine selektive Wahrnehmung haben (die wir auch tagsüber im Privatleben nicht mehr ablegen können) sehen wir eine gute Bekannte, die einen Rollstuhl schiebt, aufgeregt winken. Kurzer Halt, Fenster runter. Hinter uns hält ein PKW – kein Hupen, keine Lichthupe – einfach warten. Aha – da hat jemand erkannt, worum es bei unserem Stopp geht! Der Fahrer oder die Fahrerin ist mir spontan sympathisch. Wir verabreden uns mit unserer Bekannten in der nächsten Seitenstraße und der Herr im Rollstuhl stellt sich vor. Weiter geht’s mit der Ausgabe. Der Herr im Rollstuhl reagiert auf die Frage, ob er noch eine Terrine möchte, eine Spur zu verhalten – ein „Ja“ traut er sich nicht. Sina sucht nach einer zweiten mit Kartoffelbrei, denn „der hält länger vor als Nudeln“. Da hat er Recht. Es gesellt sich eine Freundin unserer Bekannten dazu, die restlichen Terrinen sind nichts für sie – sie ist Vegetarierin. Sina und ich habe vollstes Verständnis – wir auch. Ganz hinten in einem Fach kramt Sina einen Becher Grießbrei hervor – die junge Frau ist begeistert. Süßigkeiten und Hygienebeutel wechseln die Besitzer und wir treten jetzt endgültig die Rückfahrt an. Ausgiebiges Winken – dann sind wir weg.
Unsere Bekannte hat sich kurzfristig und sicherlich nur temporär mit dem Herrn im Rollstuhl zusammengetan. Manchmal eint das Schicksal der Obdachlosigkeit eben doch…
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EHRENAMT BEI UNSICHTBAR e. V.
Das Ehrenamt bei UNSICHTBAR e. V. besteht nicht ausschließlich aus der Arbeit auf der Straße. Bring dich zum Beispiel in der Fahrzeugpflege mit ein, sortiere, packe und waschen und reinige regelmäßig unsere Fahrzeuge, denn auch das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe.
Werde Teil von etwas Großem – werde ein Teil von UNSICHTBAR e. V.“
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