Endstation?
Endstation?
Der Tag war warm, teilweise sehr schwül und ich habe mich auf die Tour am Abend gefreut.
Ich habe zur Zeit einige Sorgen und es tut gut, in einem Team aus herzlichen wunderbaren Menschen von Unsichtbar e.V, in die Nacht zu fahren und unsere Bekannten auf der Straße zu treffen. Die eigenen Sorgen für eine Zeit in den Hintergrund stellen und immer wieder zu sehen, bei allem was ist, ich kehre heute Nacht in mein Zuhause zurück und habe dort meinen ganz persönlichen Ort der Behaglichkeit, meinen geschützten Raum, wo ich mich fallen lassen kann und nicht ständig auf der Hut sein muss. Genau das haben unsere Freunde auf der Straße nicht.
Mit diesen Gedanken im Kopf fuhr ich zu Olaf, um das Auto in Empfang zu nehmen und mich dort mit beiden Mitstreitern der Nacht zu treffen. Begleitet werden sollten Alev und ich heute von Sabrina. Sabrina interessiert sich sehr für die Arbeit von Unsichtbar e.V. und möchte vielleicht unser Straßenteam ergänzen. Was uns sehr freut. Wie immer hatte Olaf das Auto perfekt vorbereitet. Das heiße Wasser zur Zubereitung der Terrinen, Kaffee und Tee war abgefüllt in unsere 4 riesigen Thermoskannen und auch sonst alles, was wir benötigen an Ort und Stelle. Sogar der Fahrersitz war schon hoch gestellt für mich.
Kurze Zeit später trudelte auch Sabrina schon ein. Nachdem wir uns vorgestellt hatten, kurz gezeigt, was wo im Auto gelagert wird, kam ein Anruf von Alev, dass sie leider ganz kurzfristig verhindert ist. Kann passieren und ist auch nicht schlimm. Da Sabrina schon gleich einen sehr patenten Eindruck machte, entschlossen wir uns nun zu zweit die Tour zu starten. Das war mal eine richtige Feuerprobe für Sabrina. Normalerweise ergänzen Straßenteamanwärter zwei Stammmitglieder, die schon erfahren sind. Schauen erstmal in Ruhe und sammeln Eindrucke. Das ist nicht möglich, wenn man nur zu zweit unterwegs ist.
Also fuhren wir los nach Wuppertal. Erst langsam durch die Randbezirke und hielten dabei die Augen offen, ob wir jemanden sehen, der unsere Hilfe benötigt. Es war noch einiges los auf den Straßen. Danach steuerten wir dann die erste uns bekannte Schlafstelle an. Der Herr hatte heute Geburtstag und Sabrina und ich überlegten vorher, ob wir ihm ein Ständchen singen. Nach kurzer Stimmprobe, entschieden wir uns dann aber es besser zu lassen. Unser Gesang ist eindeutig noch ausbaufähig. Das Geburtstagskind freute sich sehr uns zu sehen und bei Terrinen, Kaffee und Weingummis gab es auch viel zu erzählen. Von dem Tag, der ein ganz normaler war. Wir die Ersten, die ihm gratulieren. Aber das wäre ok. Eigentlich ist er auch nicht 48 Jahre alt geworden, sondern 28 Jahre, weil die letzten 20 Jahre so sind, als wären sie ihm nicht passiert. Einfach 20 Jahre nicht gelebt. Er machte sich Gedanken über Menschen, die aggressiver und dabei auch gleichgültiger werden. Städte die voll, ihm aber leer vorkommen. Er sagte immer wieder, wie schön es ist, dass wir da sind und Sabrina und ich merkten in jedem Moment, wie er es genießt, einfach nur plaudern zu können. Aber auch zu lachen und Spaß zu haben. Einfach so, spät am Abend, in einem Schlafsack auf der Straße.
Ein Stück weiter sahen wir auch noch jemanden auf der Straße, an einer graffitiverschmierten Mauer, liegen. Sabrina und ich ließen das Auto stehen und gingen zu dem Platz. Wir stellten uns vor, sagten dass wir von Unsichtbar e.V sind, wir uns um Bedürftige und Obdachlose kümmern und ob wir ihm helfen können. Der Herr setze sich sofort hin und stellte sich auch vor. Er sei vor 4 Tagen aus seiner Wohnung geworfen worden. Der Vermieter hatte Eigenbedarf angemeldet und er hat keine Wohnung in der Zeit, die ihm blieb, gefunden. Eine Nacht hat er in einer Obdachlosenunterkunft probiert zu schlafen. Aber das wäre schrecklich gewesen und so schläft er nun lieber auf der Straße. Eine dünne Vliesdecke hatte er sich gekauft. Damit dürftig zugedeckt verbrachte er nun schon die letzten 3 Nächte. Nur auf einem Stück Pappe. Sein einziges Hab und Gut war ein kleiner Jutebeutel. Das alles erzählte er uns verzweifelt schauend. Aber auch, dass er zusieht, ganz schnell wieder eine Wohnung zu bekommen. Nur er macht sich im Moment keine große Hoffnung, bei der Situation auf dem Wohnungsmarkt. Wie gut, dass wir ihn gesehen haben und mit der Obdachlosen – Grundausstattung versorgen konnten. Wir holten Schlafsack, Isomatte , einen TOM ( unsere Tasche für Obdachlose Menschen ), einen unserer Hygienebeutel ( beinhaltet wichtige Produkte zur Körperpflege ) und gaben ihm alles. Zusätzlich gab es natürlich noch etwas Warmes zu Essen und Kaltes für den Durst. Und natürlich noch unsere Visitenkarte mit der Telefonnummer, wo Unsichtbar e.V immer zu erreichen ist. Leider hatten wir keinen Rucksack für ihn im Auto. Aber schnell mit Holger telefoniert, der sagte “ kein Problem, ich komm nach Wuppertal und bringe euch einen „. Wir sagten dem Herrn, dass wir etwas später noch einmal vorbeikommen und ihm einen Rucksack bringen. Der Herr schaute uns völlig überwältigt an und bedankte sich vielfach. Wenn wir ihm auch keine Wohnung geben können, so können wir ihm wenigstens das Wichtigste zum Leben auf der Straße geben und damit auch das Gefühl der Zuversicht.
Da wir uns erst einige Zeit später mit Holger treffen wollten, fuhren wir in der Zwischenzeit noch zu einem uns gut bekannten Herrn. Ihm geht es in letzter Zeit zunehmend schlechter. Das Leben auf der Straße zehrt an ihm und es werden ihm viele Hürden in den Weg gelegt, einen anderen Weg zu gehen. Auch uns macht es jedes Mal traurig ihn so zu sehen. Vielleicht konnten wir mit etwas Saurem und einem Gespräch wenigstens etwas Licht, in die für ihn sehr dunkle Nacht, bringen.
Dann wurde es auch schon Zeit zu unserem Treffpunkt an der Tankstelle mit Holger zu fahren, um den Rucksack in Empfang zu nehmen. Bei kühlem Getränk für Sabrina und Holger, Latte Macciato für mich, plauderten wir auch noch ein wenig, bevor Holger dann nach Ennepetal zurück fuhr und wir den versprochenen Rucksack zu dem Herrn. Als wir dort wieder ankamen, schlief er schon . Inzwischen auf der Isomatte im Schlafsack. Die Tasche vom Schlafsack mit seiner Jacke gefüllt als Kopfkissen. Als wir ihm leise den Rucksack hinstellen wollten, wachte er auf und bedankte sich wieder einige Male. Mit dem guten Gefühl, dass wir ihm wirklich helfen konnten, setzen Sabrina und ich unsere Fahrt fort.
Wir steuerten dann noch 4 weitere Wohnzimmer auf der Straße an und auch dort wurden wir mit viel Hallo und großer Freude begrüßt. Terrinen, Kaffee, Süßes oder Saures und auch Eistee und Wasser waren sehr gefragt. Aber auch da wieder viel Gesprächsbedarf. Ein Herr hatte eine neue Jacke, auf die er sehr stolz war und unsere weibliche Meinung zu dem Sitz der Jacke benötigte.
Einen anderen Herrn hielten Ameisen und Silberfischchen vom schlafen ab. Die Sorge, dass sie ihm, während er schläft, in Körperöffnungen wie Nase und Ohren kriechen könnten. Auch ihm konnten wir durch ein Gespräch wieder zu etwas mehr Entspannung verhelfen und zum Schluss haben wir zusammen herzhaft gelacht und wir glauben, die Krabbeltiere haben etwas ihres nächtlichen Schreckens verloren.
An einer anderen Schlafstelle war die Sorge, dass der Freund, der erst kürzlich aus dem Krankenhaus kam, weil er sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hatte, wieder stürzen könnte und man träumte von einem gemeinsamen und sicheren Zuhause mit richtigem Dach über dem Kopf.
Nachdem wir alle unsere Bekannten gut versorgt wussten, machten Sabrina und ich uns auf den Rückweg. Es war schon sehr spät in der Nacht, oder für mache auch sehr am Morgen.
Wir unterhielten uns noch intensiv über das Erlebte. Darüber wie man eine andere Wahrnehmung entwickelt durch die Gespräche mit unseren Bekannten auf der Straße und ließen verschiedene Momente Revue passieren. Und ja, auch lachen mussten wir noch im Auto. Wenn wir das nicht mehr können, können wir auch niemandem eine Hilfe sein.
Es war eine lange Tour mit vielen Eindrücken. Sabrina war von der ersten Minute an mit so viel Herz und Freude dabei und war mir eine tolle Begleiterin durch die Nacht.