Hoffentlich gibt es im Himmel Süßigkeiten
In der Regel setzte ich mich an den PC und fange an zu schreiben – entweder wenn ich selbst auf der Straße war, dann geht’s eigentlich noch besser, als wenn ich das Erfahrene für ein Straßenteam schreibe, dass auf der Straße unterwegs war, weil ich Zeit brauche, um mich in die Situation hin versetzen muss.
– Heute fällt mir das besonders schwer –
Heute waren Olaf und Marina unterwegs zu denen, die auf der Straße leben aber einen Bericht darüber wird es erst morgen geben.
Und jetzt sitze ich wieder am PC, aber diesmal fällt mir das Schreiben überhaupt nicht leicht und warum der Bericht der heutigen Tour erst morgen kommt, ist weil das Straßenteam jetzt erst einmal einen Schock verarbeiten muss.
In den vergangenen Jahren haben wir vieles erlebt und gesehen, wir haben viel gelacht aber auch viel geweint – letzteres, weil wir vieles gehört und erfahren haben, erzählt bekamen über die Leben der einzelnen Menschen, ob nun alt oder jung und darüber hinaus auch einiges passiert ist, dass man nicht mehr verändern kann, weil man es nicht mehr rückgängig machen, weil es das Ende eines Wegs ist, den jeder von uns irgendwann gehen wird.
Vor noch gar nicht mal so langer Zeit, traf ein Straßenteam auf einen obdachlosen Herrn, der irgendwie besonders schien, der zu seinem Kaffee gerne auch mal neun Stück Zucker nahm und unglaublich gerne Süßigkeiten vernaschte und wenn wir mal keine dabeihatten, irgendwie schon traurig war.
Ich erinnere mich wie ihm mal jemand 0,5 L Eistee mit Kaugummigeschmack geschenkt hatte und ich ihm wenige Tage drauf einen ganzen Liter davon mitbrachte und er deshalb beinahe Purzelbäume schlug, auch erinnere ich mich an die zahlreichen Berichte von unseren Straßenteams, die sie schrieben und wie sie, sie geschrieben hatten, als sie diesem besonderen Menschen begegnet sind.
Haste mal drei Zigaretten, daran erinnere ich mich ständig.
Wofür drei Zigaretten?
Eine für gestern, eine für heute und eine für morgen, war dann seine Aussage und wenn wir weibliche Begleitung im Team dabeihatten, hätte er immer gerne gehabt, dass wir die Person dann auch gleich noch dalassen würden, was aber natürlich nur ein Scherz war und was er auf seine Art und Weise immer wieder lustig fand.
– War es ja auch irgendwie –
Er hatte nichts mit Alkohol am Hut, dafür aber ein Drogenproblem, aber selbst, wenn er unter Drogen stand, war er stets freundlich, schon fast liebevoll.
Er erzählte uns die Geschichte, seines Lebens und umso mehr er uns darüber erzählte umso leiser wurde er, in dem was er uns erzählte.
Versucht hatte er seine Geschichte so zu erzählen, als wäre das längst Vergangenheit aber angekommen sind seine Geschichten, so wie er sie wirklich gefühlt hatte – tief und voller Schmerz.
Sein Leben, dass er überwiegend auf der Straße verbrachte, machte ihn zu dem, der er bis Samstag dieses Jahrs war.
Zu einem der vielen obdachlosen Menschen, die dort draussen auf den Straßen leben, zu denen die oftmals übersehen werden, zu denen die nicht wahrgenommen werden und zu denen die trotz alle dem nichts anderes sind – wie du und ich – weil sie eben nichts anderes sind, wie du und ich.
Sie atmen die gleich Luft ein, sie essen und sie schlafen und sie bestehen, wie jeder andere Mensch auch – aus Fleisch und Blut!
Er war nicht gesund und auf unseren ständigen Rat ins Krankenhaus zu gehen, verschloss er seine Ohren und fand alles immer gar nicht so schlimm, wie es eigentlich dann doch war.
Ich glaube in der Scene war er ein guter Freund für die, die mit ihm dort auf der Straße lebten, ein Mensch mit Ecken und Kanten und tief in ihm ein durchweg herzlicher Mensch, dessen Schicksal ihn eben irgendwann dahin brachte, wo er nun am Samstag auch verstorben ist.
Ich habe schon erlebt, dass einige Menschen, denen wir in der Nacht geholfen haben, irgendwann nicht mehr da waren, aber es gibt immer wieder diese bestimmten Menschen, die man irgendwie in sein Herz geschlossen hat und dazu gehörte auch diese Person, bei der es besonders weh tut zu wissen, sie nie wieder zu sehen.
Ich hoffe, dass er nun dort, wo er nun ist, ein besseres Leben haben wird und hoffentlich gibt es im Himmel Süßigkeiten, die für ihn immer so wichtig waren.
Wir von UNSICHTBAR e.V. trauern um Danny (39), der am Samstag, den 04.09.2021 unerwartet verstorben ist.