„Ich fahre jetzt los“
Ja da war ich dann wohl etwas schnell mit dem Bericht von gestern. Arndt hat nämlich auch einen geschrieben und weil ich euch den nicht vorenthalten möchte gibt es jetzt mal etwas, dass es so bei uns noch nie gegeben hat.
Einen zweiten Bericht von einer Tour aus der Sicht eines weiteren Teammitglieds.
Hier also der Bericht von Arndt
„Ich fahre jetzt los“ kommt um 23:17 Uhr bei WhatsApp als Nachricht bei mir an. Das ist heute Abend mein Startsignal. Noch ca 10 min Zeit, bis ich (Arndt) von Holger zu unserer heutigen Tour durch Hagen, Wuppertal und dem Ennepe-Ruhr-Kreis abgeholt werde.
Ein kurzer Blick aus dem Fenster…die vereisten Scheiben der Autos verraten mir auch ohne Thermometer, dass es verdammt kalt ist.
Zwei Paar Socken, zwei Hosen übereinander, unter der Vereinsjacke eine wärmende Fleecejacke, Mütze und Handschuhe werden die Kälte heute Nacht schon von mir fern halten…hoffentlich.
Nachdem ich durch die Haustür raus bin spüre ich, trotz Eskimo-outfit, sofort die Eiseskälte am ganzen Körper und ich stelle mir die Frage, wie die Menschen auf der Straße soetwas 24 Stunden am Tag aushalten können.
Wobei können irgendwie falsch klingt.
Sie können das nicht aushalten, nein sie müssen es.
Für die meisten Menschen bedeutet so eine kalte Winternacht, es sich zu Hause im warmen Wohnzimmer gemütlich zu machen und die Wärme der Heizung oder des Kaminfeuers zu genießen. Für die Menschen zu denen wir jetzt raus fahren, bedeutet so eine kalte Winternacht ein Kampf ums nackte Überleben.
Damit in unserem Einsatzgebiet heute niemand diesen Kampf verliert, dafür fahren wir jetzt raus in die kalte Nacht.
Gedanklich mischt sich die Hoffnung dieses Ziel heute zu erreichen mit der Angst, für irgend jemanden zu spät zu kommen. Leider gehört auch das zu unserer Arbeit dazu. Wenn man in solchen Nächten da draußen jemand liegen sieht, muss man immer damit rechnen eine Begegnung mit dem Tod zu machen.
Kein schöner Gedanke, aber leider die traurige Realität.
Wenn ich daran denke, dass Holger das jede Nacht macht und sich demnach auch jede Nacht mit diesen Gedanken über den Tod beschäftigen muss, dann frage ich mich, wie er das alles verarbeiten kann…
Wie jede unserer Touren beginnt auch die heutige damit im Lager die Thermoskannen und den Wagen aufzufüllen und dann geht es auch schon los in die Kälte.
Neben den üblichen Erkundungen führt uns unsere heutige Tour zu einer Meldung, die so mitten in der Nacht schon etwas gruselig ist.
Ein Obdachloser übernachtet zur Zeit wohl auf einem Friedhof. Also fahren wir den gemeldeten Ort an und fanden die Person auch ziemlich schnell, nur mit einem Schlafsack auf dem Betonboden liegend. Ein kurzes Gespräch gab uns die Sicherheit, dass soweit alles in Ordnung war und es der Person gut ging.
Ein warmer Kaffee, eine Terrine und eine Weihnachtstüte wurden gerne angenommen – eine Isomatte oder ähnliches wurde leider abgelehnt. Vielleicht wird er das Angebot ja annehmen, wenn unsere Teams sich in den nächsten Tagen vergewissern, ob es ihm gut geht.
Weiter ging es für uns auf unsere Tour. Schnell weg von diesem gruseligen Ort.
Wir kontrollierten einen Ort, wo sich in der Vergangenheit ein Herr aufhielt, der angekündigt hatte weiter zu ziehen. Da wir ihn nicht antrafen, gehen wir mal davon aus, dass er das auch getan hat.
In der nächsten Stadt fuhren wir an einem Rückzugspunkt einer uns schon länger bekannten Person vorbei. Von der Person war aber weit und breit nichts zu sehen. Leider nicht weil er einen warmen Unterschlupf gefunden hat, sondern weil er vor kurzem gestorben ist.
Auch wenn es eigentlich fremde Menschen sind, macht mich so eine Nachricht sehr betroffen und traurig. Ich hoffe er ist jetzt an einem Ort, wo es ihm besser geht als in seinem irdischen Leben.
Nach weiteren Erkundungen der Gegend fuhren wir noch einige uns bekannte Personen an. Nicht alle trafen wir. Aber die, die wir trafen waren zum Glück wohl auf und befanden sich trotz der tödlichen Kälte nicht in akuter Gefahr. Und mit warmen Kaffee und heißer Suppe konnten wir wenigstens etwas Wärme in die durchgefrorenen Körper bringen.
Viel mehr ist auf dieser, durch die Kälte besonders anstrengenden Tour nicht mehr passiert. So konnten wir dann gegen 4 Uhr morgens unsere heutige Tour mit dem schönen Gefühl, gutes getan zu haben, beenden und zurück an den Ort, den die Menschen da draußen nicht haben. In unser warmes Zuhause.
Dort angekommen beschäftigt man sich erstmal noch etwas mit dem erlebten, bevor es dann irgendwann so gegen 5 Uhr morgens ins wohlverdiente Bett geht.
Kurz bevor ich mit diesem Bericht angefangen habe, hat mich ein Bekannter gefragt, warum ich soetwas mache?
Die Antwort darauf möchte ich als kleine Anregung an alle Leser hier gerne mit in diesen Bericht schreiben:
Weil die Welt nicht besser wird, wenn wir tatenlos nur zu Hause auf dem Sofa sitzen.
Ein Einzelner kann die Welt nicht retten. Jeder kann aber in seinem eigenem Umfeld die Welt zu einem etwas besseren Ort machen.
Wenn das alle machen würden, wäre die Welt endlich ein toller Ort. Ich bin stolz darauf, mit Unsichtbar e.V. meinen persönlichen Beitrag dafür leisten zu können.