Ja, ist denn schon Weihnachten?
Guten Tag, hier lest Ihr den Beitrag von Frank Rösner , der mit Kiki auf einer Tour durch die Nacht war.
Ja, ist denn schon Weihnachten?
Dies hörten und erlebten wir gestern ein paarmal. Auf meiner Tour mit freien Fahrtzielen entscheiden Kiki und ich uns, ein paar Menschen auf der Straße zu besuchen und ihnen ein paar gewünschte Sachen zu bringen oder uns einfach nur ein wenig mit ihnen ohne Druck zu unterhalten.
Wir starteten um 22.00 Uhr und fuhren nach Wuppertal.
Hier hatten wir einem Herrn eine Pizza versprochen, bei den letzten Besuchen hat es aber leider nicht geklappt. Jetzt brachten wir mit einer großen Pizza Hawaii seine Augen zum Strahlen und seine Finger zum Fliegen. „Ja, ist denn schon Weihnachten?“. Gut, dass die Pizza vorgeschnitten war. Mit Heißhunger und gleichzeitig Genuss wurde sie in Angriff genommen. Wir hatten extra eine neue Rolle Alufolie mitgebracht, „für die Reste und für den nächsten Tag“. „Da bleibt heute nichts übrig“, war die Antwort. Neben einem netten Gespräch über das zu erwartende Wetter in den nächsten Tagen und ein paar anderen Dingen, die gebraucht wurden, rundeten kalte und heiße Getränke alles ab. Glückliche Augen und eine winkende Hand mit einem Pizzastück verabschiedeten uns.
Danach ging es weiter zu einem anderen schon länger bekannten Menschen, der, der so gerne liest. Wie letztens schon versprochen, brachten wir ihm drei Thriller mit, er hatte noch zwei Bücher eines anderen Autors bekommen, aber die Bücher werden bei ihm „nicht schlecht“ und sicher schnell gelesen werden. Hierüber freute er sich schon sehr, aber als wir ihn fragten, ob er eigentlich ein Handy hätte, was er verneinte, und wir ihm dann ein neues gutes Handy geben konnten, kannte die Freude keine Grenzen mehr. Direkt wurde die SIM-Karte gesucht und das Handy betriebsbereit gemacht. „Ja, ist den schon Weihnachten?“
Diese Frage stellte sich auch wohl ein junger ausländischer Herr, der auch dort saß, aber abseits in einer Trainingshose auf dem kalten Boden. Die Jacke hielt ihn nur am Oberkörper etwas warm. Da die Verständigung nicht einfach war und trotz unserem Bekannten nicht sehr zielführend, haben wir ihm erst einmal eine heiße Terrine gegeben. Auf Nachfragen der teilweise pantomimischen Art konnten wir ihm dann entlocken, dass er nichts dabei hatte und fror. Wir gaben ihm dann neben unserer Visitenkarte mit unserer Telefonnummer einen Schlafsack, eine ISO-Matte und einen TOM. Schnell legte er die ISO-Matte mit meiner Hilfe aus, rollte den Schlafsack aus, stellte seine Turnschuhe ordentlich neben den Schlafsack und war schnell im Schlafsack verschwunden. Wenn es in seiner Sprache und in seiner Religion ein Weihnachten gibt, wenn er Franz Beckenbauer jemals gesehen und gehört hat, dann sagten seine strahlenden und dankbaren Augen auch aus: „Ja, ist denn schon Weihnachten?“
Während wir uns noch um ihn kümmerten, gab ein Passant im Vorübergehen Kiki 10 € für unsere Arbeit in die Hand. Da dachten wir auch einmal: „WOW! Ja, ist denn schon Weihnachten?“ Es berührt uns immer, wenn spontan unsere Arbeit anerkannt und gewürdigt wird. Egal ob mit einer Geldspende wie hier oder durch die Dame, die nur kurz später zu uns kam und uns auf die positiv beantwortete Nachfrage, ob wir uns um Obdachlose kümmern würden, erzählte, dass sie einen Obdachlosen gesehen hätte und ob wir mal nachsehen könnten. Es war der Herr mit der Pizza, so dass wir ihr beruhigend erklären konnten, dass wir ihn kennen, auf ihn aufpassen und soeben dort gewesen wären. Wir dankten ihr für Ihre Aufmerksamkeit und wünschten uns noch gegenseitig ein schönes Wochenende. Dieses Wissen, dass es Mitmenschen gibt, die nicht mit geschlossenen Augen oder leerem Blick durch die Gegend gehen, die die Unsichtbaren sichtbar machen, dass ist für uns wie eine Bescherung. „Ja, ist denn schon Weihnachten?“
Von dort aus ging es noch zu zwei Bekannten, der eine war wach und bescherte uns als „Gegenleistung“ für Kaffee, Terrine und Kaltgetränk mit Informationen über den Weltkonzern Nestle und dessen Machenschaften sowie den Vorzügen von Eiern, Milch und Fleisch vom Bauern bzw. Honig vom Imker. Keine Massenware, sondern Qualitätsprodukte. Es ist immer wieder erstaunlich, welche Menschen man auf der Straße antrifft. Gerne reden und diskutieren wir, hören aber auch bei Problemen gerne zu. Die erlebten Gespräche sind für die Menschen auf der Straße, aber auch für uns eine Bereicherung, ein Geschenk. „Ja, ist denn schon Weihnachten?“
Die letzte Bescherung erinnerte uns mehr an Nikolaus als an Weihnachten, unser besuchter Herr schlief offenkundlich und gut hörbar tief und fest und war durch vorsichtige und ruhige Ansprachen nicht zu wecken. Er hatte sich leichte Handschuhe für die Nacht im Schlafsack gewünscht, die warmen Handschuhe für den Tag waren zu warm und unbequem. Was sollten wir tun? Wir steckte unsere Visitenkarte in einen Handschuh und legten beide zu seinen Sachen, ein wenig wie der rausgestellte Nikolausstiefel. Vielleicht hat er sich heute Morgen dann Ende Februar gefragt „Ja, ist denn schon Weihnachten?“.
Nun fuhren wir nach Bochum, dort waren viele Plätze aber leer und an zwei Stellen schliefen die Menschen schon fest, so dass wir sie nach Kontrolle, ob sie ruhig und gleichmäßig atmen, weiterschlafen ließen. Ein Platz war offensichtlich wieder einmal geräumt worden, Kleidungsgegenstände, Schlafsäcke und andere Dinge lagen ungeschützt hinter einem Bauzaun. Hier sollten wir eigentlich ein Handy überbringen. Einen anderen Herren konnten wir aufgrund eine ungenauen Beschreibung nicht finden, gerade dieser hatte um Gesprächszeit gebeten, über die er sich immer freut und dann traurig ist, wenn man doch irgendwann weiter muss. Hier konnten wir diese Mal leider keine Geschenke überreichen, aber wir bleiben dran. Dafür trafen wir zufällig an einem verlassenen Ort, den wir aber immer wieder kontrollieren, im Vorübergehen einen Herrn aus Ennepetal, der uns dort auch schon mal gesehen hatte. Ihm konnten wir mit einem heißen Kaffee, einem Schlafsack und einem Gespräch auch weiterhelfen.
Um 02.30 Uhr war die Tour dann wieder zu Ende und wir waren zu Hause.
„Ja, ist denn schon Weihnachten?“ – Nein, erst kommt der Frühling, dann hoffentlich ein angenehmer Sommer ohne Hitze oder Starkregen, ein goldener Herbst und dann wird es wieder kalt und ernst auf der Straße.
Aber bis dahin spielen wir gerne ab und zu den Weihnachtsmann oder sind einfach nur für unsere Freunde auf der Straße da.
Jeden Tag, bis tief in die Nacht.