Karin und Annette auf Tour
Karin schreibt…
Heute (13.07.2024) fand die Eröffnung von TOR 18 statt – zunächst durch Holger mit einer kurzen Ansprache und dann folgte ein Vortrag unseres Mitglieds Rüdiger Wackwitz, der bei UNSICHTBAR e. V. die Funktion eines Supervisors und Mediators (zertifiziert) bekleidet. Und der war einfach großartig, spannend, lehrreich. Ich habe 14 Jahre im Außendienst für eine Softwarefirma gearbeitet, habe EDV-Anlagen in Krankenhauslaboren installiert, Labor- und Stationspersonal geschult. Ich weiß, wie wichtig – und schwierig – es ist, Zuhörer*innen abzuholen, Schulungen so zu gestalten, dass sie möglichst für jeden interessant sind, dass alle „am Ball bleiben“. Wenn man dann als Feedback hört: “ Sie… Sie schulen so… interessant, sonst schlafe ich bei sowas immer ein!“ – dann weiß man, dass man alles richtig gemacht hat. Dieses Kompliment gebe ich an Rüdiger weiter.
Mit dem heute erfahrenen neuen Wissen im Hinterkopf starten Annette und ich (Karin) im Anschluss unsere Tour – und tatsächlich konnten wir einiges direkt umsetzen!
Wir suchen nach dem neuen Aufenthaltsort von einigen Herren, deren Platz geräumt wurde. Ich habe nur eine ungefähre Angabe – leider finden wir sie nicht. Ich hoffe, dass einer – oder alle – an einem Treffpunkt auftauchen und wir Näheres erfahren, so dass wir ihren Platz zukünftig gezielt anfahren können. Und dass wir die einzigen bleiben, da wir keine Fotos von Schlafplätzen und Menschen posten. Wir schützen sie.
Einen weiteren Schlafplatz finden wir verlassen vor. Das ist auch so ein Thema, was mich bewegt und nachdenken lässt: Wo sind sie hin? Die, die feste Schlafplätze hatten, die wir mit ziemlicher Sicherheit dort antrafen, die, die mir ans Herz gewachsen sind (da ist sie wieder, die emotionale Heulsuse… ). Ich hoffe so sehr, dass es ihnen einigermaßen gut geht, wo immer sie sich jetzt befinden.
Ich steure unseren letzten Treffpunkt an, parke den Kangoo, Annette und ich steigen aus – auf den ersten Blick scheinen nicht viele unserer Bekannten anwesend zu sein. Und immer wieder das Phänomen: Sie sind plötzlich einfach DA.
Unsere Prämisse ist, auf unseren Nachttouren die Unsichtbaren, die, die sich verkriechen, zu finden. Dafür steht UNSICHTBAR e. V. – Ich freue mich auch immer, Bekannte wieder zu sehen, ihnen mit Nahrung und dem Notwenigsten wie TOMs (Taschen für obdachlose Menschen – mit Unterwäsche, Hygienebeutel, T-Shirt etc. gepackt), Isomatte, Ruck-/Schlafsack etc. zu helfen.
Und durch Zuhören. Heute Abend ist wieder ein mir bekannter Herr da, der völlig verzweifelt ist. Stark alkoholisiert, er weint, entschuldigt sich immer wieder. Annette und ich versichern ihm, dass er sich nicht zu entschuldigen braucht, wir hören ihm zu. Er sagt, dass er einfach manchmal zu viel trinkt, um zu vergessen, um sein Leben zu ertragen. Es ist wieder eine Geschichte (nein, ich erzähle sie nicht, wir respektieren seine Privatsphäre), die sich genau so oft ereignet und zeigt, dass das Schicksal der Obdachlosigkeit, des Lebens auf der Straße, jeden von uns ereignen kann. Seine Verzweiflung ist schwer zu ertragen. Ja klar – potenziert durch den Alkohol, aber ist das nicht egal? Das Problem bleibt dasselbe!
Er verspricht, wie schon mehrmals, sich an Luthers Waschsalon zu wenden, wo ihm kompetente Hilfe zukommt. Ich hoffe, dass er es dieses Mal schafft…
Inmitten des Ausgabedrummels kommt ein Passant vorbei, in der Hand einen 10 € Schein: „Ich wollte kurz etwas spenden!“ Aber gerne doch! Tut immer wieder gut: Menschen, für die Obdachlose unterstützenswert sind…
Ich bringe Annette nach Hause und den Kangoo zum Lager. Denke über vieles nach… den Vortrag von Rüdiger… Umsetzung des Gehörten… die Obdachlosen, die eine neue Unterkunft finden müssen… den verzweifelten Herrn… aber auch die schönen, witzigen Begegnungen mit unseren „Obdis“… das, was dieses Ehrenamt MIR gibt…