Karins 33. Tour

Meine 33. Straßentour seit Februar – wird es zur Routine?

Antwort: Oh nein. Emotional schon mal gar nicht. Natürlich ist es Routine, den Kangoo zu packen, bestimmte Stellen anzufahren. Aber was dann passiert, wissen wir nie. Und so fahren wir jedes Mal los mit einer gewissen Anspannung. Mein persönlicher Albtraum ist, einen verstorbenen obdachlosen Menschen zu finden. Die Vorstellung, dass da jemand einsam, völlig allein gestorben sein könnte, macht mich fertig. Aber wenn wir in den Abend, in die Nacht starten, sind wir optimistisch, gehen davon aus, dass wir helfen dürfen, damit sie gut durch die Nacht kommen. Und vielleicht treffen wir sie bei unserer nächsten Tour wieder – und es geht ihnen gut. „Gut“ im Rahmen dessen, was man in der Situation der obdachlosen Menschen als gut bezeichnen kann.

Susanne S. und ich fahren auf eine Information der Polizei hin zu einer Anlaufstelle, an der sich wieder zumindest eine obdachlose Person aufhalten soll. Nicht nur eine, es sind zwei. Ein junger Mann, der erst seit kurzem obdachlos ist, kommt auf uns zu, unsicher, verlegen: „Ich habe von euch gehört!“ Susanne und ich bereiten alles für die Ausgabe vor, da erscheint ein zweiter, älterer Mann. Es stellt sich heraus, dass er uns kennt und dem jungen Mann von uns erzählt hat. Da ist das Phänomen wieder, worüber ich bereits geschrieben hatte: Obdachlosigkeit eint manchmal doch.

Ich frage nach, ob sie sich öfter hier aufhalten, was der Ältere bestätigt. Der junge Mann ist, nachdem er das erhalten hat, was wir ihm angeboten und was er angenommen hat, sofort wieder verschwunden, wir sehen ihn noch in der Nähe. Er will nicht viel, will schnell wieder weg. Thema Routine: Er hat offensichtlich noch keine Routine in seiner Obdachlosigkeit. Nein, ich auch nicht bei meiner Tätigkeit für UNSICHTBAR e. V. und erst recht nicht im Umgang mit so jungen, obdachlosen Menschen…

Wir versprechen dem Älteren, jetzt öfter diese Stelle anzufahren und es ist ihm anzumerken, dass er froh darüber ist.

Jetzt wieder etwas Routine, was das Abfahren bekannter Aufenthaltsorte betrifft, aber auch Suche nach neuen Stellen.

Beim letzten Treffpunkt erwartet uns etwas sehr Positives: Der Herr, über den ich bei meinem letzten Bericht schrieb, dass es ihm so schlecht ging, erscheint in einem entschieden besseren Zustand, berichtet uns stolz, dass „alles“ beim Jobcenter erledigt sei – es tat so gut, ihn so optimistisch zu sehen. Wir machen uns nichts vor – das ist kein Dauerzustand. Aber das ist jetzt, in diesem Moment, wo er so offensichtlich so froh und stolz ist, völlig uninteressant! Ein weiterer Herr erzählt uns nicht weniger stolz, dass er es war, der ihn zum Jobcenter gebracht hat. Ich frage ihn: „Du kümmerst dich jetzt etwas um ihn?“ Begeisterte Zustimmung: „Wir halten zusammen!“ Jesses… das ging wieder so ans Herz… Wenn man diesen Optimismus sieht, diese Freude: „Wir halten zusammen“ – egal, wie lange es dauert, es geht beiden mit dem Gefühl der Gemeinsamkeit jetzt gerade einfach gut. So wichtig. Und SO gut…

Nicht bei allen gibt es Optimismus, aber das ist ja klar. Und so hören wir wieder zu, versuchen diese elendige Sprachbarriere zu überwinden.

Aber wir haben auch wieder viel Spaß, blödeln rum, lachen. Und dann höre ich noch etwas sehr Skurriles. Ein junger, uns gut bekannter junger Mann, der mir sehr am Herzen liegt (jesses, ich glaube, ich wiederhole mich – aber im Laufe der Zeit baut man einfach sowas wie eine Beziehung auf, also, zumindest ich…) erzählt, „die da hinten“ meinten, dass wir eine Sekte sind. Ich hätte am liebsten laut losgelacht, so absurd ist diese Aussage! Ich gucke ihn ungläubig an: „Nicht dein Ernst!“ – „Ja, doch! Diese langen Gespräche, ihr würdet doch nur versuchen, dass wir für euch arbeiten…“ – so erzählt er weiter. Ich kann das nicht glauben: „Aber wir hören euch doch in erster Linie zu!“ – „Ich habe denen auch gesagt, dass ich noch nie von euch darauf angesprochen wurde!“ Ich habe nicht herausgekriegt, wer „die dahinten“ sind. Wenn der junge Mann das nächste Mal wieder am Kangoo auftaucht, frage ich nochmals nach und gehe vielleicht einfach mal hin, wenn „sie“ wieder da sind, und frage, wie sie auf die abstruse Idee kommen, wir wären eine Sekte… 😀– Stelle ich mir sehr spaßig vor…

Wir kommen zum Ende. Die Heckklappe des Kangoos ist verriegelt, Susanne und ich verabschieden uns von denen, die noch rumlaufen, und ich setze Susanne zuhause ab. Das in letzter Zeit oft übliche Ende einer Tour: Ich bringe den Kangoo zum Lager, mache mir Gedanken, mache mir Sorgen – aber freue mich auch über positives Erlebtes. Und auch über Skurriles… 😜
===================================================================================
EHRENAMT BEI UNSICHTBAR e. V.
Das Ehrenamt bei UNSICHTBAR e. V. besteht nicht ausschließlich aus der Arbeit auf der Straße. Bring dich zum Beispiel in der Fahrzeugpflege mit ein, sortiere, packe und waschen und reinige regelmäßig unsere Fahrzeuge, denn auch das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe.
Werde Teil von etwas Großem – werde ein Teil von UNSICHTBAR e. V.“