Männer sind alles Schweine – sie schaute uns an und entschuldigte sich
Nicht geplant und doch gemacht – so kann das manchmal bei uns sein, wenn es spontan heißt – auf in eine Nachtfahrt.
Was uns erwartet fragte mich Thomas ein paar Stunden vor Beginn der Tour – hier meine Antwort
- Chillen
- Präsenz zeigen
- Verschiedene Städte anfahren
- Helfen
- Viel rumstehen
Chillen sorgt für eine gewisse innere Ruhe und eine kleine Zeitreise durch sein eigenes ich, die man einfach braucht, um etwas runterzukommen. Vor beginn einer Tour gehen einem immer wieder alle möglichen Dinge durch den Kopf – abstellen kann man das nicht, also ich kann es nicht – wie unsere anderen Teamplayer emotional an unsere Touren herangehen, dass kann ich gar nicht so genau sagen, aber ich denke mal, dass jeder für sich kurz zuvor alle erdenklichen Möglichkeiten, was passieren könnte, einmal kurz mit auf seine ganz eigene Zeitreise mitnimmt.
Präsenz zeigen und verschiedene Städte anfahren gehört zu jeder Tour dazu und natürlich helfen, wenn uns die Möglichkeit geboten wird zu helfen, dann fragen wir nach, steigen aus und bereiten zu.
Und ja – wir stehen auch viel rum, aber das hat auch etwas damit zu tun, dass wir unsere Energie aufladen müssen, denn wir fahren auf diesen Touren nicht in die Nacht hinein, wir beginnen sie mitten in der Nacht. Meistens um 00:00 Uhr bis zu dem Punkt, wenn dann die Sonne aufgeht.
Und dann hast du dich vorbereitet auf das, was da vielleicht kommen könnte und wirst wieder einmal eines anderen belehrt, denn das womit du gerechnet hättest, tritt zwar ein und das ist dann die Möglichkeit, den Seelen – die um diese Uhrzeit durch die Nächte wandeln zu helfen aber darüber hinaus passieren immer wieder weitere Erlebnisse, die sich in deine Zeitreise einschleichen und dich erst einmal nicht mehr loslassen.
Erst kürzlich wurde ich auf der Gartenparty in Hattingen gefragt, ob wir viele junge Frauen auf den Straßen haben, wodrauf ich antwortete, dass wir definitiv ein paar kennen aber Gott sei Dank, nicht diese Ausmaße wie in den Großstädten, wie Berlin, Hamburg oder auch Köln haben und das ich es brandgefährlich für Frauen finde, auf der Straße zu leben.
Und dann trafen wir eine Seele davon.
Eine junge Frau, die uns all das berichtete, worüber wir sonst nur auf unseren Vorträgen sprechen. Sie erzählte, was ihr schon alles passiert sei, was uns definitiv bekannt war aber worüber nur die wenigsten betroffenen Frauen sprechen.
Allein als Frau auf der Straße, sagte sie – ist die Hölle, wenn nicht noch ein bisschen schlimmer.
Erst heute Nacht kam ein Mann auf sie zu und bot ihr an, mit ihr in einen Park zu gehen und sich unter den Himmel zu legen, um die Sterne zu beobachten – abgesehen davon, waren heute gar keine Sterne am Himmel zu sehen und es war klar wie Kloßbrühe, wodrauf das hätte hinauslaufen sollen.
Natürlich fände sie es schön, mal jemanden zum Reden zu haben, jemanden der sich für sie und ihre Geschichte interessieren würde, aber das ist meistens nur in den ersten paar Minuten so und wenn die dann vorbei sind, geht es den meisten Typen nur um das eine.
Sie sind eben alle gleich und jemand der anders ist, den hätte sie noch nicht gefunden und der Glauben daran, vielleicht doch mal Glück zu haben, den habe sie nicht mehr.
Das Einzige, was sie können, ist ihre schwierige Situation auszunutzen, sie denken es ist ein leichtes, eine Schulter anzubieten und dann den ganzen Körper zu nehmen, dass glauben die meisten kann man ja mit einer machen, die auf der Straße lebt, sich behandeln zu lassen wie ein Stück Fleisch, ohne nur ein bisschen darüber nachzudenken, dass auch in ihr ein Herz schlagen würde.
Dann schaute sie uns an – während sie ihre Terrine aß, ihr Mund war voll aber der Drang uns etwas erzählen zu wollen war stärker als ihr Hunger.
Damals als ich bei meinem Freund rausgeflogen bin, erzählte sie, während sie die Terrine schon fast inhalierte – da begegnete sie einem Mann, der wirklich sehr nett war und der sich Sorgen machte, ihr zuhörte und ihr angeboten hatte, ihr ein warmes Bett für die Nacht zur Verfügung zu stellen.
Damals war aber auch noch alles anders, gerade auf der Straße, du kommst gar nicht klar und ziehst jeden Strohhalm, um einfach da wegzukommen, suchst nach einem sicheren Ort, um nicht durch die Nächte laufen zu müssen – aus Angst, dass dich jemand schlafend findet und du aufwachst, mit einer Hand vor dem Mund, die dich davon abhält zu schreien, wenn etwas mit dir passiert, was sie niemanden wünscht, weil es einfach nur so schlimm wäre.
Dieser Mann, der ihr ein Bett angeboten hatte, toppte alles, was sie je erlebt hätte, dort draußen auf der Straße.
Als sie mit ihm ging, öffnete er die Tür seiner Wohnung, zeigte ihr wo die Dusche ist, und sagte dann – hier kannst du dich frisch machen und wenn du dann schon ausgezogen bist, ersparst du es mir, dass ich dir die Sachen vom Körper reißen muss, damit du deine Miete für die Nacht bezahlen kannst.
Männer sind alles Schweine, sie haben nur das eine im Kopf – sie schaute uns an und entschuldigte sich – tut mir leid, denn ihr seid ja auch, welche, aber das ist wirklich so, sagte sie.
Dann schlürfte sie den Rest aus ihrer Terrine und wir fragten, ob sie noch eine haben möchte, wodrauf hin sie nickte.
Unser weiteres Gespräch war sehr leise, sie verfiel in Gedanken, während sie aß und uns viel in dem Augenblick auch nicht mehr viel ein.
Ein neues Fragment für meine Zeitreise, welches ich auf meinen zukünftigen Touren mitnehmen werde und auch wenn es viele dieser Fragmente gibt, an die man sich mit der Zeit gewöhnt hat, mit denen man umgehen kann, es wird immer wieder welche geben, die einem so die Worte zerschlagen, dass man in manchen Augenblicken unseres Ehrenamtes, immer und immer wieder darüber nachdenkt, wie schlecht die Welt doch eigentlich geworden ist.
Letztendlich hat es aber auch etwas Gutes – diese ganz besonderen Touren, die Touren in die wirklich tiefe Nacht hinein, dass sind die Touren, die uns Menschen entdecken lassen, die unsere Hilfe, unsere Ohren, unser Verständnis und unser Herz, dann für den einen Augenblick gerne annehmen, wenn es vielleicht auch einfach nur darum geht, uns ihre Geschichten anzuhören, um sie dann mit euch zu teilen.