…traf mich der Kälteschock und sofort musste ich an die Menschen denken, denen wir gleich begegnen würden
Als ich (Monika) am Abend das Haus verließ, um mich mit Sabine am Lager zu treffen, traf mich der Kälteschock und sofort musste ich an die Menschen denken, denen wir gleich begegnen würden. Sie sind dieser Kälte dauerhaft ausgeliefert, kommen nicht aus einem warmen zuhause, um nur mal vor die Tür zu gehen.
Unser erster Stopp führte uns zu einem alten Bekannten, den jemand mit einer Winterjacke überrascht hatte. Stolz zeigte er immer wieder auf das Markenlogo und ja, sie würde unglaublich wärmen. Wir freuten uns mit ihm und bei einer Terrine und Tee unterhielten wir uns noch eine Zeit lang über dies und das.
Dann ging es zu einem Straßenmenschen, der selbst immer wieder eine Überraschung ist. Ein junger Mann, zurückhaltend, bescheiden und gepflegt, aber doch schon den vierten Winter auf der Straße. Er hat nur zögerlich Kontakt zu uns aufgenommen, war anfänglich sehr vorsichtig. Jetzt vertraut er allmählich. Sein einziger Besitz: Ein Rucksack mit dem notwendigsten. Immer und immer wieder haben wir ihm als Schutz einen Schlafsack und eine Isomatte angeboten, aber er nimmt es nicht, lehnt höflich aber dankend ab. Wir unterhalten uns lange mit ihm. Er ist so ein guter Beobachter und bringt vieles auf den Punkt. Wenn er erzählt, ist es fast so, als würde nicht er selbst in dieser Situation stecken, sondern nur darüber von außen berichten. So, als mache er ein Experiment. Was ist passiert? Was hat ihn auf die Straße gebracht? Ich stelle mir die ganze Zeit diese Frage, spreche sie aber nicht aus. Vielleicht öffnet er sich ja noch weiter – irgendwann. Aber er muss es von sich aus machen.
Bei der Abfahrt schauen wir uns noch mal den Wetterbericht an. Es wird in den nächsten Tagen bitterkalt. „Bitte nimm den Schlafsack, du erfrierst sonst!“ Wieder ist die Antwort: „Nein, brauche ich nicht.“ Aber wir werden weiter lästig sein.
Wir fuhren zu einem Bekannten, der fast immer an seinem Stammplatz liegt. Wir machen uns große Sorgen um ihn. Er wurde vor einiger Zeit zusammengeschlagen, erinnert sich an nichts mehr und baut seither stetig ab. Auch jetzt liegt er wieder auf dem nackten Beton, redet kaum, nimmt aber etwas Warmes zu essen an. Wir schaffen es auch, ihn kurz zum Aufstehen zu bewegen, schieben eine Isomatte unter ihn und geben ihm eine Rettungsdecke, mit der er sich bedeckt. Als wir wieder fahren kommt ein junges Paar auf uns zu. „Wir haben das gerade gesehen, was ihr gemacht habt und wir möchten einfach mal sagen, dass wir es toll finden. Ist irgendwie ein schönes Gefühl zu wissen, dass sich selbst dann noch jemand um einen kümmert.“
Wir freuen uns immer, über solche Worte und es ist gar nicht so selten, dass unser Tun auf diese Art beobachtet und kommentiert wird. Die Welt ist nicht kälter geworden. Überall gibt es Menschen, die helfen, helfen wollen, Hilfe sehen und sich freuen, dass es Hilfe gibt.
Als wir später noch einmal an dem Platz vorbeikommen, sehen wir die Rettungsdecke, halb befestigt an unserem Bekannten, in Kälte und Wind flattern. Er scheint sich aufgegeben zu haben. Wir werden weiter verstärkt nach ihm sehen.
So, wie wir auch nach all den anderen immer wieder sehen werden, die wir auf dieser Tour noch antrafen und antreffen werden.