Zufall oder Schicksal?
Karin schreibt…
Zufall oder Schicksal?
Samstag bin ich (Karin) mit Holger auf Nachttour. Wir starten gegen 23 Uhr ab Lager. Auf der Fahrt nach Wuppertal erhält Holger einen Anruf, dass ein Paar dringend Hilfe benötigt und wir verabreden einen Treffpunkt.
Wenn wir unterwegs sind, reden wir über alles Mögliche. Es werden Begegnungen reflektiert, es werden ernste Themen diskutiert, auch Privates erzählt, es werden Sprüche gemacht und es wird gelacht – und ab und zu auch mal philosophiert. Auf dieser Tour haben wir ein Thema, da gibt’s nichts zu diskutieren, weil wir exakt in unseren Meinungen übereinstimmen. Wir glauben beide nicht an Zufälle – irgendwie ergibt doch irgendwann alles einen Sinn. Ich nenne es gerne „Schicksal“. Sicher haben wir das alle schon erlebt: Dass etwas geschieht, was uns zunächst den Boden unter den Füßen wegreißt – und sich im Nachhinein als großes Glück herausstellt. Zumindest aber als positiv… – So ein Erlebnis hatten wir heute.
Wir sind bereits in Wuppertal, als das Paar erneut anruft und einen anderen Treffpunkt vorschlägt – die Beschreibung ist allerdings etwas unverständlich, so dass es beim vorher verabredeten Treffpunkt bleibt. Wir parken und sofort kommt ein junger Mann an den Wagen: „Da vorne liegt einer“. Mittlerweile hat ein anderer Passant versucht, den am Boden liegenden Mann zu wecken. Wir schauen nach – er lebt, seine Bodycross-Tasche liegt auf seinem Gesicht. Hinter der Bank, vor der er liegt, sehen wir 2 Flaschen Bier und eine halbe Flasche Cognac. Holger versucht ebenfalls ihn zu wecken – keine Chance, er ruft die Feuerwehr an. Holger versorgt das obdachlose Paar, ich „bewache“ den jungen Mann. Der RTW der Feuerwehr trifft ein, zwei Rettungssanitäter und eine -sanitäterin kümmern sich um den jungen Mann. Er bekommt noch nicht mal mit, dass er auf die Trage gehievt wird. Die drei bedanken sich mehrmals bei uns für den Anruf, es ist nicht selbstverständlich, dass offensichtlich hilflose Menschen gemeldet werden. Der RTW fährt nicht los, offenbar ist die Stabilisierung des Mannes nicht ganz einfach. Hinter uns parkt ein PKW – wir können nicht vor und nicht zurück. Einer der Sanitäter verlässt den RTW und telefoniert mit einem Arzt. Holger bekommt Gesprächsfetzen mit: Der junge Mann ist noch nicht mal volljährig, er soll ins Krankenhaus verbracht und muss weiter beobachtet werden.
Im Wagen fällt mir unser Thema auf der Hinfahrt ein: Es war doch Schicksal, dass wir nicht zum geänderten, sondern zum ursprünglich verabredeten Treffpunkt gefahren sind?! Wer weiß – vielleicht haben wir sogar mit dafür gesorgt, dass der junge Mann die Nacht überlebt.
Wir fahren zu einem Obdachlosen, dessen Schicksal mir ganz besonders am Herzen liegt. Nein, dieses Mal keine Tränen – ich bin einfach nur froh, dass es ihm gut geht und wir ihm helfen dürfen.
Auf der Fahrt nach Hagen machen wir Umwege, um eventuell weitere Unterkünfte obdachloser Menschen zu finden und ihnen helfen zu dürfen. Wir machen kurz Halt auf einem Parkstreifen, als plötzlich ein Kleinbus der Polizei neben uns auf der Straße anhält. Scheiben werden heruntergelassen und wir werden freundlich begrüßt. „Und? Bei euch alles ruhig?“ – „Ja, wir suchen noch! Bei euch auch?“ – „Ja. Gut, dass es euch gibt – und noch viel Erfolg!“ Wir freuen uns einmal mehr über die Anerkennung und die guten Zusammenarbeit nicht nur mit der Polizei, sondern auch mit Feuerwehr und DRK.
Weiter geht es in den Stadtbereich Hagen – und wieder ein Plausch mit einer Polizistin und einem Polizisten. Seit Kurzem steht auf jeder Hagener Polizeistation (und auch als Pilotprojekt in einem Düsseldorfer Krankenhaus) ein Findus, ein Metallschrank eines bekannten schwedischen Möbelhauses, entsprechend foliert und gepackt mit dem Notwendigsten, wenn obdachlose Menschen auf einer Polizeistation landen. Nicht, weil sie verhaftet werden, sondern gerade in sehr kalten Winternächten zu ihrem Schutz. Wir haben es schon öfter gehört, wie gut diese Schränke angenommen werden, wie sinnvoll sie sind. Wenn sie aufgefüllt werden müssen reicht ein Anruf und wir liefern Nachschub.
Beim nächsten Halt – mittlerweile ist es 3 Uhr morgens – treffen wir auf einige obdachlose Menschen, die froh sind, dass sie noch etwas Warmes zu essen und zu trinken und noch etwas Süßes für den Rest der Nacht erhalten. Und wir sind froh, dass wir noch so vielen helfen können.
Ein junger Mann rührt in seiner Terrine und fragt, ob wir denn gar nicht müde sind. „Nö.“ Für Müdigkeit ist gar keine Zeit. Wir fahren ja nachts nicht einfach so durch die Gegend weil wir nichts Besseres zu tun haben, sondern beobachten aufmerksam die Umgebung, um keine hilflose oder hilfsbedürftige Person zu verpassen. Er wiederholt mehrfach, dass es so gut ist, dass es uns gibt und dass sie gar nicht damit gerechnet haben, dass wir so spät noch auftauchen.
Es geht uns gar nicht um Dankbarkeit der Menschen. Es geht darum, dass ganz offensichtlich das, was wir tun, so wichtig für diese Menschen ist. Und dafür sind WIR dankbar.
Um 4:15 Uhr erreichen wir das Lager – eine erfolgreiche Nacht geht zu Ende.
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