Die Menschen hinter Unsichtbar / Das sind wir:
Guten Abend, ich heiße Holger Brandenburg – bin 51 Jahre alt und lebe in Ennepetal.
Als ich noch sehr klein war, war ich recht viel bei meiner Oma, die mir immer sowas sagte, wie – bevor sie auf sich schaut, schaut sie zuerst auf die anderen, damit es denen gut geht.
Damals konnte ich das weder verstehen noch in irgendeiner Art und Weise umsetzen.
Nach einem schweren Autounfall, stand ich unter Schock und niemand dachte daran, dass ich jemals wieder reden würde – für meine Oma war klar, dass ich das mit viel Einfühlsamkeit und sehr viel Zeit wieder schaffen würde – und sie hatte es geschafft – sie hatte etwas geschafft, an das niemand mehr glaubte – sie war etwas sehr besonderes.
Sie war ein Mensch, der mich so nahm wie ich bin oder wie ich war, also damals und als ich dann so herangewachsen bin und ins Berufsleben eingestiegen bin, war ich seltener für sie da – vielleicht zu selten, denn sie war immer für mich da – ohne Wenn und Aber.
Die Gastronomie hat mich abgehärtet und für einen Augenblick einen anderen Menschen aus mir gemacht – es wurde quasi aus dem kleinen schüchternen Holger ein Draufgänger – der sich fühlte wie Superman – oder so ähnlich.
In dem darauf folgenden Jahren habe ich dann weitere Ausbildungen gemacht und diese auch immer schön abgeschlossen – der letzte Job hat mich dann komplett umgestellt und ich war alles aber ich war nicht mehr ich selbst.
Viel Geld verdienen und mit dem Kopf durch die Wand gehen, hat für mich nur noch eines bedeutet – Karriere Karriere Karriere – davor und danach kam nichts anders.
Eines Tages bekam ich dann eine Chance mich an all das zu erinnern, was ich scheinbar irgendwann vergessen hatte und das auf eine ziemlich harte Art und Weise.
Ich wurde krank und ich schleppte diese Krankheit längere Zeit mit mir herum, bis zu dem Tag, an dem ich im Krankenhaus aufwachte und die nächsten sechs Wochen dort verbringen musste, mit einer anschließenden Rehabilitation von – ich glaube – ca. zwanzig Wochen.
In dieser Zeit verlor ich das Wichtigste in meinem Leben und das war meine Oma, obwohl ich ihr noch vor Antritt zur Reha versprochen hatte, an einem bestimmten Tag wieder bei ihr zu sein.
An diesem Tag wurde meine Reha verlängert und ich war nicht bei ihr und an diesem Tag verstarb sie – etwas was ich mir bis heute nicht verzeihen kann.
Wieder ein Moment in meinem Leben, aus dem ich lernen sollte nichts zu versprechen was man vielleicht nicht halten kann und eines stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest – einen solchen Moment wird es nicht mehr geben.
Dadurch entstand meine Offenheit, mit der nicht jeder zurecht kommt, meine Ehrlichkeit, die auch schonmal weh tun kann und das Versprechen an mich selbst – niemanden in meinem Leben jemals irgendwen zu belügen, selbst wenn es keine Lüge gewesen aber ich hatte jemanden etwas versprochen, was ich nicht eingehalten hatte und das kam in meinem Kopf rüber, als wäre es eine Lüge gewesen.
Aber ich verlor in dieser Zeit nicht nur meinen wichtigsten Menschen, ich lernte auch, dass Geld alleine nicht glücklich macht und auch meine Vorurteile Menschen gegenüber, die sich in meinem Berufsleben aufbauten, wurden, eliminiert, weil ich in dieser Zeit der Rehabilitation herausfinden musste, dass es da auch noch andere Menschen gibt.
Menschen – die es noch härter getroffen hatte, als es mich getroffen hatte.
Das Wort Vorurteile kommt in meinem Wortschatz seid damals nicht mehr vor – es wurde quasi gestrichen.
Irgendwann kam ich dann wieder nach Hause und stand vor den Trümmern, meines einst noch so „guten“ Lebens – aufgefangen wurde ich damals von meiner Mutter und eingefangen hat mich die derzeitige Situation und der Gedanke daran, wie schnell das Leben vorbei sein kann.
Irgendwann ging ich für eine längere Zeit nach Bayern, man nennt es wohl der Liebe wegen, aber man nennt es auch nur so, vielleicht war es auch nur die Flucht von alle dem weg, was hinter mir lag.
Damals kam Ben zu mir, den ich mitgenommen hatte und die Zeit in Bayern, war keine schöne Zeit, sie bestand aus emotionaler Erpressung und sehr vielen Momenten, in denen ich eigentlich keine Lust mehr auf all das hatte.
Wäre Ben mein mittlerweile leider verstorbener Freund nicht gewesen, wäre ich vielleicht auch nicht mehr, aber es musste jemand auf ihn aufpassen und Freunde verlässt man auch nicht einfach so – also hies es wieder mal – Augen zu und durch.
Es war eine Zeit, in der ich das Gefühl hatte, nicht mehr tiefer sinken zu können und es war wieder einmal eine Zeit, etwas verändern zu müssen.
Dann ging es zurück, zusammen mit Ben – in eine ruhigere Welt – zurück dahin – woher ich eigentlich gekommen bin – zurück nach Hause.
Eine neue Wohnung, mittlerweile Frührentner und jeden Tag und jede Minute mit einem Wesen zusammen, dass mehr Freund hätte, nicht sein können.
Eines Tages, als wir im Wald spazieren gegangen sind, war es sehr kalt und es war einfach kein Wetter, um sich wohlzufühlen und auch Ben wollte irgendwie einfach nur nach Hause.
Und dann – stellte ich mir die Frage – was mit den Menschen ist, die kein Zuhause haben, die nicht einfach mal zurück in die Wohnung gehen könnten, um sich aufzuwärmen!?
Also schnappte ich mir meinen Freund und wir gingen los, dahin wo die Welt noch grausamer war, als die – die auch ich kennenlernen durfte – wir gingen zu denen, die auf der Straße lebten.
Anfangs noch etwas schüchtern, dann aber zunehmend offener und immer intensiver.
Es waren alles Menschen, wie du und ich und sie waren so ehrlich und man war willkommen – sie waren anders und das was meine Oma mir irgendwann einmal sagte, lernte ich zu verstehen.
„Bevor sie auf sich schaut, schaut sie zuerst auf die anderen, damit es ihnen gut geht“
Jeder von ihnen, so schlecht es ihnen auch noch ging, gab sein letztes Hemd, für die – denen es noch schlechter ging – niemand hatte dort Vorurteile gegenüber einen anderen, niemand machte sich ein Bild von jemanden, wobei er ihn oder sie gar nicht kannte und jeder war froh darüber – selbst, wenn er oder sie gar nichts mehr hatten, über das – was sie hatten.
Es war eine komplett neue Welt und hätte es Ben damals nicht gegeben, hätte ich diese Welt niemals kennengelernt – denn erst durch ihn, kam ich überhaupt auf die Idee – aus all dem was ich im Leben erlebte einen Sinn zu sehen – den Sinn in meinem Leben zu sehen, dass ich vielleicht genau so leben musste, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt, dieses Leben, so leben musste, um zu verstehen, wozu ich eigentlich auf dieser Welt bin und was mich heute jeden Tag immer wieder auf ein Neues glücklich macht, wenn ich es dann mache.
Menschen, denen es schlecht geht, zu helfen!
Menschen auf der Straße zu begegnen und mit ihnen zu sprechen, ihnen einen warmen Kaffee zu reichen und mit ihnen über ihr Leben zu sprechen, über mein Leben zu sprechen, mit ihnen zu lachen und zu weinen und vielleicht meiner Oma im Himmel ein Lächeln zu schenken, wie sie gerade neben Ben sitzt – ihn streichelt und stolz auf mich sein kann – weil ich verstanden habe, dass nichts auf der Welt so wichtig ist, als über seine eigene Schulter zu schauen und Hilfe zu schenken, da wo sie gebraucht wird.
Vor ca. 6 Jahren habe ich dann UNSICHTBAR e.V. gegründet, aus einer Thermoskanne Kaffee ist heute etwas Großartiges entstanden – ich durfte Menschen kennenlernen, die in irgendeiner Art und Weise auch für sich herausgefunden haben, wie schön es sein kann, aus tiefsten Herzen heraus, dort rauszugehen und hinter den Vorhang der Gesellschaft zu blicken, diesen Menschen ein paar Minuten ihrer Zeit zu schenken, die oftmals leider „unsichtbar“ bleiben.
Das bin ich, Holger Brandenburg – Gründer und stolzes Vorstandsmitglied eines aussergwöhnlichen Vereins.