Elend, aber auch schöne und lustige Momente…
Karin schreibt…
Zur heutigen Tour hole ich (Karin) Ute ab und nach Kangoo-Packen am Lager geht’s los. Ganz wichtig: Der Karton mit den Weihnachtstüten ist aufgefüllt! Der Herr von neulich ruft wieder an – ja, er hat Glück, das Bergische steht heute eh auf dem Plan. Wir fahren wie immer über Land – auf der Autobahn halten sich ja eher selten Obdachlose auf!
Erstes Ziel ist „Rudi“, dem es unverändert geht (gut wäre übertrieben, aber ja – für seine Lebensumstände ist gut schon passend).
Weiter geht‘s ein Stück durch die Fußgängerzone und dann zu einer Anlaufstelle, an der uns bereits der Herr, der angerufen hat, erwartet. Er ist jetzt viel ruhiger, erzählt, dass seine Freundin heute nicht dabei ist, sie schläft. Er benötigt nicht viel, ist entschieden zurückhaltender als neulich. Ich äußere meine Vermutung: Er wollte mit Sicherheit seiner Freundin zeigen, was er so alles organisieren kann, wollte sie bestimmt beeindrucken und war deshalb so hibbelig. So rührend…
Viele hilfsbedürftige Menschen kommen noch zu uns und werden versorgt. Schließlich leert sich der Platz hinter dem Kangoo und wir überlegen: Fahren wir jetzt noch zu einer weiteren Anlaufstelle in einer anderen Stadt? Der Kangoo ist ziemlich leer… hm… also lieber zuerst ins Lager, Kangoo fix auffüllen. Und weiter. Wir fahren langsam über einen dunklen Parkplatz eines Supermarkts. Ein Taxi parkt dort, der Fahrer steigt aus, als er uns sieht und kommt auf der Fahrerseite an den Wagen. Er erzählt uns von einer Frau, die er immer an derselben Stelle sieht, ob wir die kennen. Ja, die ist uns bekannt. Er sagt, dass er sie angesprochen hat, dass sie aber – er zögert – etwas Unfreundliches gesagt hat. Wir müssen lachen: „Ja, sie wird sehr ungehalten wenn man sie anspricht. Wir fahren aber immer wieder bei ihr vorbei und sobald wir sie auf dem Boden liegend sehen würden, geben wir das sofort weiter.“ Er ist beruhigt, er würde das ebenfalls tun. Ute und ich freuen uns – wieder jemand, der hinguckt…
Mal wieder ein kurzer Stopp bei der Polizei und wir erfahren, dass es in der letzten Zeit sehr ruhig ist und es gibt auch nichts Neues zum Thema Obdachlose. Das ist besser als schlechte Nachrichten!
Also wieder weiter zum Aufenthaltsort der drei Herren, die ein bisschen gegenseitig auf einander aufpassen. Dieses Mal ist es umgekehrt, da weckt einer der beiden denjenigen, der sich etwas entfernt aufhält. Er ist bestens organisiert, kommt wieder mit einer kleinen Plastikkiste an, um seine Terrinen, den Kaffee, die Kaltgetränke und die Süßigkeiten besser transportieren zu können. Die Brille des einen Herrn ist kaputtgegangen, wir suchen nach der passenden Stärke (nur gut, dass wir vorher von allen Stärken, die wir vorrätig haben, eine eingepackt haben!).
Sie fragen nach Cremes, die Kälte reißt die Haut auf, auch die Lippen werden spröde. Ute verteilt Handcreme und bietet Vaseline an, der Herr, der gut Deutsch spricht, versucht das Etikett zu lesen, hält dabei den Arm ausgestreckt. Ute und ich bieten ihm laut lachend eine Brille an, er wehrt empört ab – NEIN, er braucht doch keine Brille! Großes Gelächter, er steht zu seiner Eitelkeit!
Auf der Weiterfahrt müssen wir immer wieder lachen – die drei sind einfach zu nett! Am letzten Treffpunkt für heute nähern sich innerhalb kurzer Zeit so einige Bekannte und Unbekannte – um die Uhrzeit haben wir mit so vielen nicht gerechnet, schließlich ist es schon halb 2. Auch jetzt verteilen wir die Weihnachtstüten, einer älteren Frau müssen wir sie direkt aufdrängen: „Nein, gebt das besser Kindern, die brauchen das eher.“ Wir versichern immer wieder, dass für Kinder wirklich ausreichend Weihnachtsbeutel für das Ressort Unsichtbär gepackt werden konnten, dank vieler Spender:innen (wir haben darüber berichtet)!
Einer der Herren kommt mit einem jungen Mann an den Kangoo: „Der braucht auch was, aber der traut sich nicht!“. Ich habe gerade 2 Weihnachtstüten in der Hand, halte sie ihm hin: „Bist du obdachlos?“ Er verneint: „Aber gerade pleite.“ Er zuckt mit den Schultern: „Ich weiß auch nicht, was ich hier soll!“ Ich muss lachen: „Das ist dann so wie mit der älteren Frau, der über die Straße geholfen wird, obwohl sie gar nicht will!“ Er lacht ebenfalls: „Und die dann nicht weiß, wie sie wieder zurück kommen soll!“ Großartig! – Ich biete ihm eine Terrine an, aber er winkt ab, gegessen hätte er. Na gut – dann soll er aber bitte die Weihnachtstüten mitnehmen, was er nach kurzem Zögern sehr gerne annimmt.
Allmählich ziehen sich alle zurück und die Heckklappe fällt heute Nacht ein letztes Mal. Es hat so einige schöne und lustige Momente gegeben, über die ich auf der kurzen Heimfahrt nachdenke. Das Elend bleibt, aber wenn wir mit den Menschen, die wir auf der Straße zurücklassen, solche Momente erleben, wird das Elend ganz kurz überdeckt. Es bleibt ein Gefühl der Dankbarkeit zurück, dass wir das erleben dürfen.