Sonntagabend auf Nachttour

Karin schreibt…

…und wieder ein Sonntagabend ohne Tatort & Co. für Holger und mich (Karin)…

Man muss halt Prioritäten setzen – und unsere im Straßenteam sind klar definiert. Also: 22:30 Uhr raus auf die Straße. Zunächst ist es wieder sehr ruhig und wir machen einen Pause bei der Polizei. Wir berichten von unserer Kampagne „Würde wahren“ (wir haben darüber berichtet) und die Tatsache, dass statistisch gesehen ca. 6 Obdachlose jeden Tag in Deutschland zusammengeschlagen und -getreten und angezündet werden und die Angriffe auf Obdachlose um 35 % gestiegen sind, erstaunt auch die Polizisten.

Als wir uns verabschieden mit den Worten: „Passt auf euch auf, wir brauchen euch!“ kommt als Antwort: „Wir euch auch.“ Das zu hören tut schon gut 😊!

An einem Treffpunkt obdachloser Menschen in der Stadt zieht der weithin gut erkennbare Kangoo wieder so einige an, die um diese Zeit noch wach sind. Wir dürfen sie mit so einigem aus unserem Vorrat versorgen, gut durch die Nacht kommen sie damit. Tief schlafende Menschen wecken wir nicht. Holger: „Schlafen birgt immer auch ein Risiko mit sich. Wenn sie – die Obdachlosen – endlich eingeschlafen sind, sollten wir sie nicht wecken. Sie sind froh, wenn sie schlafen können.“

Auf der Weiterfahrt Richtung bergisches Land sprechen wir darüber, dass so viele obdachlose Menschen, die wir lange kennen, oft versorgen durften, einfach nicht mehr da sind. Auch dieses Phänomen haben uns die Polizisten bestätigt. Sie sind weg. Von einem Tag auf den anderen, von einer Nacht auf die andere. Einfach so. Weg. Wir sprechen über einzelne von ihnen und Holger warnt mich, dass ich sie nicht alle in mein Herz schließen darf – es wird immer passieren, dass sie verschwinden, vielleicht sogar sterben. Da sprechen knapp 10 Jahre Erfahrung gegen knapp 9 Monate… Ich weiß ja, dass er recht hat – aber es fällt mir schwer.

Wir sind wieder an einem beliebten Treffpunkt obdachloser Menschen und auch hier hat der Kangoo eine Signalwirkung. Wir dürfen helfen, reden, hören zu…

Letzter Halt bei „Rudi“, der sich wie immer freut, uns zu sehen, der immer einfach nur freundlich, höflich, liebenswert ist. Wir brauchen gar nicht zu fragen – wir wissen, womit wir ihm helfen dürfen, kennen seine Wünsche. Ich bringe ihm noch etwas Süßes, Holger sitzt schon im Wagen und ruft ihm zu, dass er jetzt fährt und „M.“ mitnimmt. Ich rufe „Rudi“ zu, dass ich nicht „M.“ heiße, den Namen hasse, dass ich Karin heiße und Holger mich nur ärgern will. Wir kennen vermutlich alle den Spruch „mitreißendes Lachen“ – „Rudi“ kann mitreißendes Kichern, zufrieden seine Terrine löffelnd. Holger und ich müssen laut lachen. Es tut gut, „Rudi“ so zu erleben.

Auf dem Heimweg nach den üblichen Lagerarbeiten das Verabschiedungsritual: Holger biegt rechts, ich links ab, Warnblinkanlage und Lichthupe – und dann sind wir mit unseren Gedanken allein. Es sind gute Gedanken.
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EHRENAMT BEI UNSICHTBAR e. V.
Das Ehrenamt bei UNSICHTBAR e. V. besteht nicht ausschließlich aus der Arbeit auf der Straße. Bring dich zum Beispiel in der Fahrzeugpflege mit ein, sortiere, packe und waschen und reinige regelmäßig unsere Fahrzeuge, denn auch das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe.
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